SB-Weihnachts-Interview mit Dr. Tamás Fabiny, Landesbischof der evangelischen Kirche in Ungarn

SB: Herr Bischof Dr. Fabiny, wir sitzen zusammen bei einem Kaffee, und ich unterhalte mich mit Ihnen, einem ungarischen Geistlichen, auf Deutsch. Für mich, einen ungarndeutschen Katholiken, eine eher ungewöhnliche (sprachliche) Situation. Wo haben Sie sich die deutsche Sprache angeeignet?

TF: Als Kind habe ich von meinem Opa Deutsch gelernt. Er sprach fließend Deutsch wegen der Monarchie-Zeit und wollte seinen Enkelkindern Deutsch beibringen. Ich denke, er suchte damit einfach die Gelegenheit, mit den Enkeln zusammen zu sein. Ich war jede Woche bei ihm und habe auch viele Sachen auswendig gelernt. Ich gehöre zur Generation, die als erste Fremdsprache Russisch lernte, und später habe ich am Gymnasium Englisch gelernt. Als Stipendiat war ich mehrmals in Erlangen und habe mein Deutsch dort verbessert. Natürlich war es nicht so einfach, meine Doktorarbeit auf Deutsch zu schreiben.

SB: Ist Mehrsprachigkeit in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn eine Selbstverständlichkeit, insbesondere wenn es um muttersprachliche Seelsorge im Kreise der ungarländischen Slowaken und Deutschen geht?

TF: Ich sage immer, dass unsere Kirche Evangelisch-Lutherische Kirche IN Ungarn genannt werden soll, statt Ungarische Evangelische Kirche. Mit dieser sprachlichen Feinheit wollen wir ausdrücken, dass sich sowohl Deutsche als auch Slowaken bei uns zu Hause fühlen sollen. Im 20. Jahrhundert haben wir leider viele verloren, die Vertreibung der Deutschen als eine kollektive Strafe im Jahre 1946/47 war ein großer Verlust für unsere Kirche. Vor einigen Jahren habe ich an sehr bewegenden Gottesdiensten teilgenommen, z. B. in Agendorf/Ágfalva: Viele, die nichts mit dem Volksbund zu tun hatten, haben weinend ihre Heimat verlassen. Dort habe ich auch erfahren, dass der evangelische Pfarrer die einwaggonierten Leute getröstet hat, und als der Zug abgefahren ist, läuteten die Glocken im Dorf. Eine sehr schmerzhafte Geschichte. Die wenigen, die geblieben sind, bekommen die muttersprachliche Predigt und Seelsorge.

SB: Sie haben sich vor anderthalb-zwei Jahren, ähnlich wie die katholischen Bischöfe Miklós Beer aus Waitzen und János Székely aus Steinamanger, für mehr Toleranz gegenüber den Flüchtlingen ausgesprochen. Was hat Sie dazu bewegt, sich in diesem Thema öffentlich zu äußern?

TF: Ich habe am Budapester Ostbahnhof und in Röszke die große Masse von Flüchtlingen gesehen. Ich war schockiert. Natürlich wollte ich helfen, weil ich dachte, dass Gastfreundschaft zu der Mentalität der Ungarn gehört wie auch die Hilfe für die Schwächeren. Ich kann mich an 1989 erinnern, als die DDR- Flüchtlinge bei uns waren, oder an die Situation, als Menschen vor dem Balkankrieg zu uns flohen. Ich war enttäuscht, dass die Mehrheit der Bevölkerung dieses Mal zurückhaltend war und tatenlos geblieben ist. Im LWB, wo ich auch als Vizepräsident aktiv mitgearbeitet habe, war für uns selbstverständlich, über Hilfe der Flüchtlinge zu sprechen. Ich wollte einfach das in Ungarn umsetzen, was wir auf globaler Ebene thematisiert haben. Die politischen Zusammenhänge dieser Frage sind aber sehr komplex. Unser Videoaufruf, den wir zusammen mit Bischof Miklós Beer veröffentlicht haben, wurde sehr ambivalent aufgenommen. Die Mehrheit hat positiv reagiert, aber eine kleine und agressive Minderheit hat uns beschimpft.

SB: In Ungarn – anders als in Deutschland, wo sich die EKD in erster Linie über Kirchensteuereinnahmen finanziert – hängen fast alle Religionsgemeinschaften von staatlichen Zuwendungen ab, was teilweise ein Ergebnis der historischen Entwicklung ist. Wie sehen Sie diese finanzielle Abhängigkeit – oder nennen wir sie lieber Nähe zum Staat – persönlich und gäbe es Alternativen dazu?

TF: Eins muss geklärt werden: Die Pfarrer werden nicht von dem Staat, sondern von den Gemeindemitgliedern bezahlt. Alle aktiven Kirchenmitglieder geben der Kirche jährlich eine freiwillige Summe. Ich kenne viele bewegende Beispiele, die mich an die biblische Erzählung der Witwe mit zwei Groschen erinnern. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch Reserven hätten, wenn die Reichen mehr geben würden. In diesem Fall wären wir nicht so abhängig vom Staat. Die Regierung gibt den christlichen Schulen und diakonischen Einrichtungen eine normative Summe, ein sogenanntes Kopfgeld. Dadurch werden diese Institutionen finanziell gesichert. Eine extra Unterstützung der Regierung wäre z. B. beim Kirchenbau oder Renovierungen notwendig. Hier muss man sich immer um das Geld bewerben, und bei der Auswertung spielen vielleicht auch subjektive Faktoren eine Rolle. Deswegen möchte ich erreichen, dass ein System an geregelter und gerechter Kirchenfinanzierung entsteht.

SB: Worin sehen Sie die größten Herausforderungen der Zeit und wie versucht Ihre Kirche den zu begegnen?

TF: Leider ist bei uns die Säkularisation ein großes Problem, auch wir verlieren viele Gemeindemitglieder. Dagegen wollen wir eine intensive missionarische Strategie aufbauen. Wir versuchen den Leuten in ihrer Mobilität zu folgen. Viele verlassen z. B. Nord- und Ostungarn und siedeln sich in der Agglomeration der Hauptstadt an. Hier wollen wir neue Gemeinden gründen und möglicherweise neue Kirchen bauen.

SB: Sie pflegen enge Kontakte zu west- und nordeuropäischen evangelischen Gemeinden und deren Landeskirchen – welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede können Sie erkennen?

TF: Wir können voneinander lernen, wir brauchen uns nicht zu verstecken, was die Intensität des Glauben betrifft. In den 40 Jahren der „Wüstenwanderung”, als wir das „rote Meer” überqueren mussten, haben wir solche Erfahrungen gesammelt, die wir mit unseren westlichen Schwestern und Brüdern teilen können. Gleichzeitig sind wir bereit, die vielen guten Methoden kennen zu lernen und die theologischen Ergebnisse zu übernehmen, die zum Erbe der Kirchen gehören, die auch früher in einem demokratischen Land leben durften. Wir müssen einen Dialog führen und einander gegenseitig schätzen. Ich wäre froh, wenn das Stichwort „auf Augenhöhe” in diesem Zusammenhang eine tägliche Realität wäre.

SB: Sie sind vor einem Jahr zum Landesbischof, in Deutschland würde man Ratsvorsitzender sagen, gewählt worden – wie lautet Ihre Bilanz und welche Ziele möchten Sie in der nächsten Zeit verwirklichen?

TF: Als leitender Bischof einer relativ kleinen Kirche versuche ich dafür Beispiel zu geben, dass eine Kirche autonom bleiben kann. Wir versuchen ein menschliches Gesicht zu zeigen: Eine dialogfähige und fröhliche Kirche wird in der Gesellschaft hoffentlich gern genommen.

SB: Wir Christen feiern in wenigen Wochen Advent und Weihnachten – was ist Ihre Botschaft an die Mitchristen?

TF: An Weihnachten müssen wir an die Armen und (Not-) Leidenden denken. In diesen Wochen liegen mir besonders die Obdachlosen auf dem Herzen. Die heilige Familie in Bethlehem war praktisch auch obdachlos. Unser Weihnachtsfest ist nur glaubwürdig, wenn wir denjenigen helfen, die am Rande der Gesellschaft stehen.

SB: Herr Bischof, vielen Dank für das Gespräch!

Bild: 24.hu

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