Die deutsche Sprache als Ausdrucksform

Die deutsche Sprache als Ausdrucksform der Bürgerlichkeit

Die Zettl-Langer-Sammlung in Ödenburg und eine vergessene Gesellschaftsschicht

Die Geschichte der sprachlichen und nationalen Minderheiten in Ungarn kann nicht ohne die Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Stellung betrachtet werden. In einer multiethnischen Gesellschaft, die für das historische Ungarn bis zum Ende des Ersten Weltkrieges den Normalzustand darstellte, waren die Machtverhältnisse der einzelnen nationalen Gruppen nicht nur auf Landesebene, sondern auch auf lokaler Ebene von entscheidender Bedeutung. Die historischen Minderheiten Ungarns ergeben in dieser Hinsicht ein vielschichtiges Gesamtbild. Eine Ausnahme von den überwiegend ländlichen und landwirtschaftlich geprägten Nationalitäten bildeten die Deutschen und die Juden – wobei die Stellung der Letzteren als Nationalität intensiv diskutiert wurde. Diese Debatte war nicht nur während der Zeit der Österreich-Ungarischen-Monarchie präsent, sondern blieb auch in der Zwischenkriegszeit ungelöst.

Die deutsche Nationalität wurde hingegen von Anfang an als ethnische Gruppe wahrgenommen, obgleich von Einheitlichkeit keine Rede sein konnte. Die Deutschen, die in ländlichen Dörfern Ungarns lebten und weniger von der Assimilation betroffen waren, standen einer schnell madjarisierenden Minderheit der Mittel- und Oberschicht in den ungarischen Städten gegenüber. Dort war es für Deutsche nahezu unmöglich, ohne enge berufliche und persönliche Beziehungen zu den Ungarn (Madjaren, Red.) gesellschaftlich aufzusteigen. Infolgedessen passte sich diese städtische Gruppe sowohl sprachlich als auch identitär besonders schnell an.

Es wäre jedoch ein Fehlschluss, diesen Zweig des Ungarndeutschtums bei der Bewahrung und Weitergabe der deutschen Traditionen gänzlich außer Acht zu lassen. Obwohl diese Gruppe aufgrund ihrer konzentrierten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Macht weniger vom Ungarntum (Madjarentum, Red.) isoliert war als die Bewohner deutscher Dörfer – sei es in der Schwäbischen Türkei oder anderswo im Land –, spielten und spielen diese Familien bis heute eine bedeutende Rolle im ungarländischem Deutschtum.

Die Nachzeichnung ihres Lebens und ihrer Geschichte ist in mancher Hinsicht schwieriger als jene des ländlichen Deutschtums. Dies liegt vor allem an der fehlenden oder verringerten Isolation sowie an der stärkeren Assimilation an die langsam ungarisch (madjarisch, Red.) werdende Mehrheitsbevölkerung der Städte. Im ländlichen Raum hingegen konnten diese Traditionen bis heute lebendiger bewahrt werden – unter anderem durch volkskundliche Ausstellungen und mundartsprechende Zeitzeugen –, sodass sie der Öffentlichkeit leichter zugänglich gemacht wurden.

Ein bürgerliches Deutschtum, dessen finanzielles und gesellschaftliches Rückgrat vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts völlig zerstört wurde, lässt sich nicht einfach ins Schaufenster stellen.

Eine einzigartige Möglichkeit, diese „andere Welt“ der Deutschen in Ungarn zu erkunden, bietet die Zettl-Langer-Sammlung in Ödenburg, am Fuße der Alpen. Die Sammlung, gegründet von dem Likör- und Essigfabrikanten Gustav Zettl im 19. Jahrhundert, entstand mit derselben Pracht und Kunstbegeisterung wie jene des „innerstädtischen Konkurrenten“, die Storno’sche Sammlung, da die beiden Freunde Gustav Zettl und Franz Storno Junior in einem gesunden Wettbewerb standen.

Übernommen, erweitert und zur Sicherung des Bestands der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde das Haus von Zettl von seinem Enkel Herbert Langer im 20. Jahrhundert. Bis heute wird es von der Ururenkelin des Gründers, Agnes Langer und ihrer Familie bewohnt, verwaltet und geschützt. Die Sammlung öffnet ein Tor in das bürgerliche Milieu einer längst verschwundenen Gesellschaft – in Form einer Wohnung, die einst nach Wiener Vorbild eingerichtet wurde. Mittlerweile ist diese Art authentischer Wohnkultur selbst in der ehemaligen Kaiserstadt eine Rarität geworden.

Verschiedene Generationen haben sich in ganz unterschiedlichen Epochen der Zeitgeschichte – von der pluralistischen Gesellschaft der Donaumonarchie über die nationalistische Horthy-Ära und den bürgerlichkeitsverachtenden Sozialismus bis hin zur „Identitätskrise“ des 21. Jahrhunderts – den jeweils aktuellen Herausforderungen gestellt, um die Sammlung und die Traditionen der Vorfahren zu bewahren. Die Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten dieser Generationen jedoch sind nicht nur in den an der Wand hängenden Kunstschätzen, etwa einem Rembrandt oder Dürer, oder im gemeinsamen Familienheim, das seit 150 Jahren besteht, sichtbar. Selbst das in gotischer Schrift gedruckte Meisterwerk „Winnetou“, das von jeder Generation gelesen werden konnte, ist nur ein materielles Erbe, das an die Nachkommen weitergegeben wurde.

Der wahre Kern der Tradition aber zeigt sich in einer Anekdote: Die Gesprächspartnerin und ehemalige Sportlehrerin des Verfassers erfuhr erst nach der Lektüre des Buches in ihrer Kindheit, dass die Familie auch über eine ungarische Ausgabe verfügte. Dieser immaterielle Kern, der bis heute eine zentrale Rolle im Leben der Familie Langer spielt, ist die deutsche Sprache sowie die deutschen Tugenden: Ehrlichkeit, Mäßigung, Vorsicht und Fleiß. Selbst in Zeiten finanzieller Blüte war die für das Deutschtum so charakteristische Sparsamkeit der Familie auch nie fremd geworden.

Für den Bürger Gustav Zettl, der zwar prächtige Bälle für seine beiden Töchter organisierte, um sie mit der inzwischen ungarisch (madjarisch, Red.) gewordenen Oberschicht der Stadt bekannt zu machen, wäre die Frage der Muttersprache am Ende des 19. Jahrhunderts natürlich noch absurd gewesen. Dass sein Enkel neben dem materiellen auch das sprachliche Erbe antreten durfte, hing auch mit der Person von Zettls Schwiegersohn, dem österreichischen Offizier Hermann Langer von Langenrode, zusammen. Durch die mütterliche und väterliche Linie wurde die deutsche Sprache somit ungeschmälert ins 20. Jahrhundert weitergetragen, wo sie – dank der ehrgeizigen Arbeit der Großeltern von Ágnes Langer – selbst in den dunkelsten Zeiten der 1950er Jahre, gemeinsam mit der Sammlung, bewahrt werden konnte.

Wie in vielen deutschsprachigen Familien in Ungarn erlebten die Kinder des Zweiten Weltkrieges die tiefste Zäsur. Sie wurden in eine Zeit hineingeboren, in der das deutsche Wort noch gang und gäbe war. Doch der Vater der Betreuerin der Sammlung sah sich – wie viele andere nach dem Krieg – als Kind mit dem Schrecken der Vertreibung konfrontiert, von der die Familie dank eines Arztes verschont blieb, sowie mit der Zuschreibung einer Kollektivschuld. Für die Familie Langer waren diese Schwierigkeiten durch ihre gesellschaftliche Stellung noch gravierender. Nur dadurch, dass der Staat die Sammlung „unter seinen Schutz“ genommen hat und später eine Stiftung gegründet wurde, konnte der einheitlichen Bestand der kulturbürgerlichen Sammlung für die Zukunft gesichert werden – auch wenn dieser Schritt bedeutete, dass die Familie ihre Verfügungsgewalt über die Sammlung vollständig verlor. Die Häuser wurden enteignet, die Langers sind bis heute nur als Mieter einiger Teile zugelassen.

Die Zäsur in der gesellschaftlichen Stellung und in der Muttersprache bedeutete für die Familie Langer dennoch nicht das Vergessen der eigenen Traditionen. Obwohl die Weitergabe der deutschen Sprache an die jüngeren Familienmitglieder zur Aufgabe der Vorkriegsgeneration geworden war, waren sich die Großmutter und die Großtante ihrer Verantwortung bewusst. In dem Wissen um die Gefahr, die das Erlernen der deutschen Sprache von Verwandten – im Gegensatz zum schulischen Unterricht – mit sich brachte, gaben diese Frauen ihren hochgeschätzten sprachlichen Schatz dennoch weiter, manchmal vielleicht mit einer hauchdünnen Fatalität. Auch wenn die Großeltern untereinander nicht mehr die alte Familiensprache sprachen, legten sie großen Wert darauf, dass die Enkel die deutsche Sprache beherrschten. Ungarisch-deutsche Mischsätze waren im Hause der Langers jedoch verboten – sprachliche Reinheit sollte gewahrt bleiben.

Diese positive und schöpferische Sturheit und Kraft, die meine Gesprächspartnerin in ihren weiblichen Vorfahren erkannte, hat sie selbst auch nie verlassen. Sie führte die alte Tradition fort – und das nicht umsonst. Als Agnes Langer nach dem 18. Geburtstag ihres Sohnes zum ersten Mal ein Gespräch auf Ungarisch mit ihm führen wollte, erhielt sie die entschiedene Antwort: „Versuch es ja nicht!“

Eine Botschaft, die uns jeden Tag erreichen sollte – und die wir mit derselben Sturheit täglich umsetzen sollten.

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!