Die Wege des Herrn sind unergründlich

Expriester und Bürgermeister Róbert Polgár aus Murska Krstur über Herkunft, Beruf(ung) und das Glück im Leben

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Von Richard Guth

Der Dokumentarfilm geht unter die Haut: Ein katholischer Priester, der vor einer schweren Entscheidung steht, eine verstörte Gemeinschaft und eine Mutter mit drei minderjährigen Kindern bilden ein Dreieck im Film. Dieser katholische Priester aus dem Film „A döntés” (Die Entscheidung) heißt Róbert Polgár, er ist heute glücklicher Familienvater von drei Kindern und Bürgermeister seines ehemaligen Dienstortes Murski Krstur/Murakeresztúr. Das Sonntagsblatt sprach mit Róbert Polgár über seine Entscheidung, das Priesteramt aufzugeben, seine tschangomadjarische Herkunft und den kroatischen Charakter seiner Gemeinde.

„Ich habe drei Jahre gebraucht, um seelisch zu mir zu kommen”, erinnert sich der ehemalige Pfarrer an die Zeit nach der Entscheidung. Die Beziehung zu seiner (heimlichen) Frau, die im 70 km entfernten Keszthely mit den drei gemeinsamen Kindern lebte, sei im Ort ein offenes Geheimnis gewesen. Auch der Oberhirt, der als „beton atya“ bekannte ehemalige Diözesanbischof von Kaposvár, Béla Balás, habe Bescheid gewusst und ihn „auf seinem Weg begleitet”. Irgendwann sei aber der Punkt gekommen, wo die Interessen der Kinder höher gewogen hätten als die Liebe zur Berufung als Priester. „Ich bereue nichts”, sagt er heute, aber er bedauere, gemeinsame Zeit mit den Kindern versäumt zu haben. Der Dokumentarfilm zeichnet die Begleitumstände des langen Weges der Entscheidung beeindruckend nach: das Hadern des Geistlichen mit sich selbst, die Betroffenheit der Mitglieder des Pfarrgemeinderates und der Gemeinde insgesamt und die Sehnsucht der Kinder nach dem Vater. Der allseits beliebte Pfarrer schaffte es aber, in Zivil dem Ort weiter zu dienen: 2019 wählte man ihn mit großer Mehrheit zum Bürgermeister, obwohl mit der Entscheidung Polgárs nicht jeder einverstanden war.

Nicht nur der Weg der Entscheidungsfindung war lang, sondern Róbert Polgárs Lebensweg, der einst in einem tschangomadjarischen Dorf in der Moldau beginnt. „Ohne Aufklärungskampagne aus Ungarn und dem Seklerland wäre ich heute nicht hier. Mir wurden die Augen geöffnet, als beispielsweise ein madjarischer Priester zu uns kam, um den Tschangokindern Ungarischunterricht zu geben”, erinnert sich der 44-Jährige. Mit 12 Jahren ging er nach Seklerburg/Miercurea Ciuc/Csíkszereda, um mit seinem Bruder eine ungarischsprachige Schule zu besuchen. Der Schulbesuch wurde nach Polgárs Erinnerungen aus Fördergeldern finanziert. Gerne erinnert sich Polgár an die hilfsbereiten Lehrerinnen und Lehrer, die den Jungs „mit schwachen Ungarischkenntnissen” unter die Arme griffen, allen voran Schulleiterin Erzsébet Borbáth. Die mangelnden Ungarischkenntnisse haben zudem zu Hänseleien geführt: „Die Sekler haben uns nicht geschont”, sagt Polgár. Nicht bei jedem stieß der Schulbesuch in der Moldau wiederum auf Gegenliebe, „es gab eine regelrechte Gegenpropaganda. Meinen Eltern sagte man, sie hätten ihre Kinder verkauft” – etwas, was auf die tiefreligiösen tschangomadjarischen Eltern durchaus Eindruck machte. Auch wenn die Eltern zu Hause ein archaisches Ungarisch sprachen, sei die Sprache zweitrangig und identitätsstiftend der katholische Glaube gewesen. Nationalität war zwar kein Thema, dennoch habe man wahrgenommen, dass „wir anders sind”.

Die Wege des Herrn 2

Seit der Jahrtausendwende gebe es mit Unterstützung vom ungarischen Staat erstmal flächendeckend Ungarischunterricht in den Tschangodörfern. Damals sei das im häuslichen Rahmen geschehen, heute würden in etwa 30 Orten an die 2000 Kinder – 60-70 % der Tschangokinder – am schulischen Ungarischsprachunterricht teilnehmen, wodurch sich die Kenntnis des Hochungarischen verbreitet habe. Dies habe einen Einfluss auf das Identitätsbewusstsein, das größer sei als vorher, dennoch beobachte man einen Rückgang der Ungarischkenntnisse in der Bevölkerung. Das Tschangomadjarische verfüge über viele Lehnwörter aus dem Rumänischen und sei eine archaische Form des Ungarischen, da es keine Spracherneuerung wie das Hochungarische erfahren habe. Diese Entwicklung seit der Wendezeit habe dazu geführt, dass es viele Tschangos gebe, die zwar kein Ungarisch sprechen, dennoch stolze Tschangos seien und auch die ungarische Staatsangehörigkeit annähmen. Bei der sprachlichen Assimilierung habe der katholische Klerus – früher fast ausnahmslos tschangomadjarischer Herkunft – eine enorme Bedeutung gespielt, der Weg zum gesellschaftlichen Aufstieg aber habe über die Romanisierung geführt, was bei vielen ein „Identitätschaos” ausgelöst habe. Zudem habe man früher vor der Wende Diskriminierung erfahren müssen: Beim Anstehen zum Brotkauf habe man zuerst die Rumänen bedient. Aber die Zeiten hätten sich geändert, viele der ehemaligen Tagelöhner verdienen ihren Lebensunterhalt im Ausland, mit ein Grund, dass die alte Heimat für Polgár das Bild einer Boomregion mit Autobahnbauprojekten, Industrialisierung und Suburbanisierung abgebe.

Róbert Polgár verließ 1997 Rumänien und nach Stationen in Wesprim und Rom kam er 2007 nach Murakeresztúr an der kroatischen Grenze. Murski Krstur war lange ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, was bis heute Menschen anziehe, so Polgár. Er schätzt den Anteil der „bekennenden Kroaten” auf etwa ein Drittel. Den Dialekt sprächen nur noch ältere Leute, in der Schule finde Kroatischunterricht statt. Einige der Jugendlichen nähmen ihre Herkunft und das sprachliche Erbe ernst und besuchten das Kroatische Gymnasium in Budapest. Dabei brauchten die Kinder Ermunterung. Insgesamt beobachtet Polgár aber dennoch, dass je größer die Möglichkeiten der Sprachpflege seien, desto geringer würden die Kroatischkenntnisse, obwohl auch enge Kontakte zu Kroatien bestünden. Die Kroaten seien es gewesen, die dank dem kroatischen Konsul in Nagykanizsa die zweisprachigen Straßenschilder im Ort finanzierten. In seiner Zeit habe man den Versuch gestartet regelmäßig Messen in kroatischer Sprache anzubieten – geblieben seien Messen zwei-dreimal im Jahr, die ein kroatischer Geistlicher aus dem Mutterland halte.

Róbert Polgár liege in seinem neuen Beruf als Ortsvorsteher viel an Innovation. Dass man dabei oft „gegen den Strom schwimmt”, sei für ihn selbstverständlich. Nicht zuletzt sein Lebensweg voller Wendungen ist ein Beweis dafür.

Die Beitragsbilder sind Standbilder aus dem Dokumentarfilm.

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