Demografie, mehr Schein als Sein und die große Politik

Volkes Stimme zu den Volkszählungsergebnissen

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Von Richard Guth

„Falsche Strategie, falsche Minderheitenpolitik – Schaufenster ist immer sehr schön. Der Gebrauch der deutschen Sprache muss selbstverständlich sein. Die Veranstaltungen sollen mindestens zweisprachig sein. Die Vertreter der verschiedenen Organisationen und die Selbstverwaltungen mit all ihren Mitgliedern sollten Vorbild zeigen und nicht nur ungarisch kommunizieren”, äußerte sich eine Aktive mittleren Alters aus der Schwäbischen Türkei angesichts der ernüchternden Zahlen der Volkszählung 2022. Das Sonntagsblatt sprach in den letzten Wochen mit vielen Ungarndeutschen, um zu erfahren, worauf sie den Rückgang der Zahl der Deutschen zurückführen. Die Rückmeldungen ergaben ein vielfältiges Gesamtbild – auch dies ist ein Beweis dafür, dass es die eine Ursache nicht gibt, sondern eine ganze Reihe von Faktoren, die die Zahlen beeinflussten. Viele haben mit einer Zunahme der Zahl der bekennenden Deutschen gerechnet, eingetreten ist das Gegenteil: Die Zahl derjenigen, die eine der vier Kategorien – Volkszugehörigkeit an erster und zweiter Stelle, Muttersprache und meistbenutzte Sprache – angegeben haben, sank um ein Viertel auf nun 142.000.

Dass man dabei die Ergebnisse der Volkszählung vor 20 Jahren (120.000 Deutsche) mit berücksichtigen sollte, darauf wies eine Frau im jungen Rentenalter aus der Region Nord hin. Im Vergleich zu 2001 gäbe es immer noch einen Zuwachs, beachtlich angesichts der Tatsache, dass in der Zwischenzeit viele gestorben seien. Ein Mann mittleren Alters aus Südungarn mahnte kurz nach ver Veröffentlichung der Kernzahlen ebenfalls zur Vorsicht bei der Interpretation der Zahlen: „Es gibt sicherlich eine Parallele zum allgemeinen Bevölkerungsrückgang und man muss die Zahlen sowieso mit Vorbehalt betrachten (nicht nur diese, auch die von der vorherigen Volkszählung), da eine Mehrfachbekennung möglich ist und sowieso viele Faktoren das Ganze bedingen. Da müsste ich ein viel genaueres Bild von den Zahlen haben, um genauer darauf eingehen zu können.”

Auf das allmähliche Ableben der Mitglieder der Generation der Noch-Muttersprachler haben viele Gesprächspartner/innen hingewiesen: „Unsere Alten sterben”, so ein Akademiker aus der Schwäbischen Türkei. Andere wiesen auch auf die Abwanderung von Jüngeren aus den Dörfern vornehmlich ins Ausland hin („Viele von unseren Leuten sind ausgewandert. Die haben wir verloren”, so eine kritische Ungarndeutsche aus Südungarn). Mit dem Ableben der älteren Generation gehe nach Ansicht einer Akademikerin aus der Schwäbischen Türkei auch die Sprache, die identitätsstiftend ist, verloren: „Die 60er, 70er Generation versteht zwar die Mundart, sie redet aber eher ungarisch.”

Viele der Gesprächspartner wiesen auch auf die Rolle der Schule und die zunehmende Konkurrenz des Englischen hin: „Die Schule ist zu, die Kinder wollen in der anderen Schule lieber Englisch als Deutsch lernen”, äußerte sich die soeben zitierte Akademikerin. Eine Akademikerin mittleren Alters aus Südungarn bestätigt dies: „Durch das Internet verliert auch die deutsche Sprache immer mehr ihren Reiz, weil jetzt alle Englisch lernen wollen und das von zu Hause „Mitgebrachte” nicht mehr so hochschätzen.”

Ein aktiver, aber kritischer Ungarndeutscher stellt diesen Befund in einen größeren Zusammenhang und spart nicht an Kritik am Selbstverwaltungssystem: „Die Trägheit und Bequemlichkeit, Konzeptionslosigkeit der LdU ist mit ein Grund. Es wird ein Deal mit dem Unterricht getrieben, in dem nur statistische Sachen eine Rolle spielen, z.B. dass die Hälfte der Schüler der ungarndeutschen Mittelschulen nicht Ungarndeutsche sind, dass Stipendien an den ungarndeutschen Schülern vorbeigehen – davon will die LdU nichts wissen. Keine Jugendpolitik, keine Jugendarbeit, keine Kulturpolitik, keine Kulturarbeit, keine Stärkung der Gemeinschaften! Ich möchte noch einen Politiker aus der Slowakei zitieren: „Dáridó jellegű rendezvényekkel nem lehet kultúrát, hagyományt ápolni és öntudatot erősíteni. (Mit Veranstaltungen, die den Charakter einer volkstümlichen Musikparade haben, kann man keine Kultur und keine Traditionen pflegen und das Selbstbewusstsein stärken.)” Ein anderer Akademiker aus der Region Nord sagte hierzu: „ Meine Erfahrungen sind schlecht: Spaltende Gemeinschaften, narzisstische Chefs, Kultursendungen genannt Biernachmittage.”

Dabei vermisst ein Akademiker aus den jüngeren Generationen die Benutzung der deutschen Sprache, da man durch den Verzicht auf Deutsch Rücksicht auf andere nehmen wolle: „Wenn diejenigen, die eine führende Rolle einnehmen, konsequenter wären, dann wüssten wir wenigstens, woran wir sind.” Er gibt aber eins zu bedenken: „In den „großen Bollwerken” des Schwabentums (Werischwar, Schaumar, Wudersch, Harast, Taks, Schorokschar, Wetschesch, Hartian…) sanken die Zahlen ÜBERALL um ein Drittel! Es war also scheinbar egal, was für eine Arbeit die Nationalitätenselbstverwaltungen hinter sich hatten (diese Arbeit kann sehr verschieden sein), die Zahlen sind halt harte Fakten.” Der Gesprächspartner fuhr so fort: „Übrigens: Es ist für den Katz, dass es eine millionste Kulturgruppe gibt, wenn sich selbst die Familienmitglieder der Mitglieder der Gruppe nicht zum Deutschtum bekennen. Nein, nur »Auf te’ Insel steht a Paam« und Bierfest und GJU-Fußballpokal – daraus erwachsen solche Zahlen.” Auch die Mischehen sieht er als Problem an, denn: „Wenn nur eine Oma schwäbisch ist, wie könnte man erwarten, dass man sich zum Deutschtum bekennt, wenn man dabei eher in einem madjarischen Umfeld aufwuchs als in einem schwäbischen.“

Auf eine politische Dimension wiesen zwei der Gesprächspartnerinnen aus dem Süden hin: „Es könnte auch damit zusammenhängen, dass einige (nicht wenige) mit der Person und der politischen Einstellung von Imre Ritter nicht einverstanden oder zufrieden sind.” Die andere Gesprächspartnerin fand dabei deutlichere Worte und wies damit auf die tiefe Spaltung der ungarischen Gesellschaft hin, der sich auch Deutsche in Ungarn nicht entziehen können: „Ich selber sehe die Gründe für den Rückgang (Anm.: der Zahl der Deutschen) in der Politik. Der Parlamentsabgeordnete der Minderheit sollte nicht mit (…) Fidesz abstimmen.”

Die Spaltung führt wohl auch hier zu Entfremdung und Gleichgültigkeit, wie es ein Ungarndeutscher der jüngeren Generationen auf den Punkt brachte: „Auch Jüngere bekannten sich nicht zum Deutschtum, diese Zahl hängt nicht mehr mit der Angst der Älteren zusammen. Viele Menschen sind einfach gleichgültig…” Einige wiesen dabei auf die Herausforderungen der Online-Befragung und auf die Rolle der an der Volkszählung aktiv Beteiligten hin. „Viele jüngere Menschen, die keine digitale Hilfe brauchen, haben sich mit dieser Frage überhaupt nicht beschäftigt –  es lag sehr wohl an der befragenden Person, ob die Leute die Nationalität angegeben haben oder nicht”, so eine Aktive mittleren Alters.

Die Landesselbstverwaltung kündigte eine eingehende Analyse der Zahlen an. Wie die Rückmeldungen zeigen, wird das eine Mammutaufgabe sein. Und noch herausfordernder wird die Erfüllung des Auftrags sein, diese negativen Trends umzukehren.

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