Eine kleine, gut organisierte Gemeinschaft

Zu Gast bei den Karpatendeutschen – Begegnung, Kontaktpflege und Kooperationsausbau standen im Mittelpunkt der Studienfahrt

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Von Richard Guth

(Ostslowakei, 9./10. August 2023) Im Windschatten der Kaschauer Altstadt befindet sich eine für die deutsche Gemeinschaft wichtige „Machtzentrale”: der Sitz des Karpatendeutschen Vereins (KDV). „Machtzentrale“ strahlt immer etwas Weltfremdes, etwas Abgehobenes aus, deswegen die Anführungsstriche. Denn auf der Studienfahrt der JBG, welche diesmal in die Slowakei führte, traf die kleine Delegation aus Aktiven des Vereins auf laute freundliche und bodenständige Leute karpatendeutscher Herkunft.

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Der ersten Begegnung, in der „Machtzentrale”, wohnt gleich die gesamte geschäftsführende Führungsriege des KDV bei: Vorsitzender Dr. Ondrej Pöss, Büroleiter Lucia Urbančoková und Verwaltungsleiterin Mária Labunová Vitkovská. Im Gespräch geht es um die allgemeine Lage der kleinen Minderheit von einigen tausend Mitgliedern, um Chancen und Herausforderungen wie auch um mögliche Kooperationsfelder. Die JBG-Delegation erfährt auch von der Struktur des Vereins mit regionalen Untergliederungen, einige darf sie im Anschluss auch vor Ort kennen lernen. Außerdem erhält die Reisegruppe einen Einblick in die Minderheitenpolitik in der Slowakei: Demnach erhält die deutsche Minderheit 1,8 % der für die Minderheiten vorgesehenen Fördersumme, dies entspricht 130.000 Euro (50 Millionen Forint) im Jahr. Unterstützung erhält der KDV wie andere deutsche Minderheitengruppen auch vom deutschen Staat. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Jugendarbeit und der schulischen Arbeit: Die Zahl der Grundschulen mit erweitertem Deutschangebot – gemeinhin als deutsche Schulen bekannt – beträgt fünf; sie sind verstreut in den deutschen Siedlungsgebieten. Für den KDV arbeiten zwei Vollzeitangestellte, die Regionalleiter engagierten sich ehrenamtlich.

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Am Hauptsitz des KDV

Einer dieser Regionalleiter ist Peter Sorger aus Metzenseifen/Medzev. Er begrüßt uns in der Sprache der Bodwataler, auf Manta(u)kisch; das ist eine Sprachvarietät, die hochdeutschsprachige Nichtsprecher vor große Verständnisschwierigkeiten stellt. Diese Mundart brachten die Deutschen von Metzenseifen im 13. Jahrhundert aus ihrer Heimat mit, die Sprache hat bis heute überlebt. Wie sich Mataukisch anhört, das darf sich die Delegation live anhören: Es ist Mittwoch und der deutsche Chor trifft sich im Gemeinschaftshaus der Deutschen. Es sind ohne Ausnahme ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger, alle sprechen untereinander manta(u)kisch. Sie gehören zu den offiziell 12 % Karpatendeutschen, die im Ort wohnen – ihren Anteil schätzt Sorger eher auf ein Drittel. Eine Erfahrung, die uns die ganze Reise hindurch begleitet: Jeder, den wir treffen, beherrscht die Muttersprache der Ahnen und zeigt sich bereit diese auch zu benutzen. Zur Wahrheit gehören aber auch Entwicklungen, die uns aus Ungarn wohlbekannt sind: negative Bevölkerungsentwicklung durch Geburtendefizit und Abwanderung, eine hohe Zahl an Mischehen, Zuzug von Nichtdeutschsprachigen und der Kampf der deutschen Sprache um sich gegenüber Englisch zu behaupten, das in der Slowakei erste Fremdsprache in der Grundschule ist. Metzenseifen ist einer der fünf Orte, wo es einen erweiterten Deutschunterricht mit sechs Wochenstunden gibt. Auch diese Schule kämpft aber mit sinkenden Schülerzahlen, der steigenden Zahl von Romakindern mit besonderen Lernschwierigkeiten und der Konkurrenz durch andere Schulen.

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Peter Sorger mit der Fahne der Bodwataler

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Plausch im Café von Helmut Bistika

Zwei besondere Höhepunkte bietet der Besuch im Bodwatal am heutigen Tag noch: einen Museumsbesuch in der Privatsammlung des bekennenden Karpatendeutschen und ehemaligen Staatspräsidenten Rudolf Schuster und einen Abstecher zum Café von Helmut Bistika, das eher einem Kunstatelier ähnelt als einem gastronomischen Betrieb. Gegenüber dem Café steht die altehrwürdige Pfarrkirche der einstigen Bergbaugemeinde – leider verschlossen, so dass wir uns diese nicht näher anschauen können. Der Pfarrer der Gemeinde, ein Slowake mit Deutschkenntnissen, bemühe sich nach Sorgs Angaben um die Pflege der Sprache durch deutsche Messen mit deutscher Predigt. Auch das scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein wie der deutsche Sprachgebrauch bei vielen.

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In Käsmark wurde die Gruppe von Vojtech Wagner empfangen

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Am zweiten Tag führt der Weg in die Oberzips: In Käsmark/Kežmarok empfängt uns Vojtech Wagner in einem der sechs deutschen Begegnungshäuser in der Slowakei. Der gelernte Bauingenieur und Berufsschullehrer stammt aus einer deutsch-slowakischen Familie, wuchs aber mit der deutschen Sprache auf. Diese hat er durch seine Arbeit als Reiseleiter verfeinert – davon legt er auch gleich Zeugnis ab, denn er führt die Delegation gekonnt durch die historisch bedeutende Altstadt von Käsmark – bis zur Vertreibung nach 1945 noch zu 60 % von Zipser Sachsen bewohnt, deren Ansiedlungsgeschichte wie die der Bodwataler auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Heute zähle die Ortsgruppe des KDV – wie die in Metzenseifen – etwa 100 Mitglieder. Corona habe bei den Aktivitäten zu Einschnitten geführt, auch seien Mitglieder gestorben und man kämpfe zudem mit immer weniger Unterstützung. Auch hier ein ähnliches Bild wie in Metzenseifen, aufgrund des städtischen Charakters vielleicht noch ausgeprägter: Mischehen, sprachliche Assimilation und Abwanderung ins Ausland! Dabei geht es ohnehin um eine kleine Minderheit. Dennoch zeigt Wagner Kampfeswillen gerade bezüglich der Jugendarbeit und zeigt stolz auf die Grundschule mit erweitertem Deutschunterricht unweit der Thököly-Burg. Man verabredet sich das Gespräch im Rahmen eines Ungarn-Gegenbesuchs fortzuführen.

image00003   Die Gastgeber in Hopgarten: Bürgermeister Paul Toček, Regionalvorsitzende Maria Recktenwald und KJ-Chef Patrik Lompart

Der letzte Ort, den die JBG-Delegation besucht, blickt auf einen langen Kontakt zur JBG zurück. Bereits Anfang der 1990er Jahre suchte Georg Krix den Kontakt zu den Hopgartenern in der Oberzips unweit der polnischen Grenze. KDV-Regionalvorsitzende Maria Recktenwald, Patrik Lompart, Vorsitzender der Karpatendeutschen Jugend, und Bürgermeister Paul (Pavel) Toček gewähren einen Einblick in den Alltag der knapp 1000 Hopgartener – zu 70 % Bewohner mit deutschen Wurzeln. Dabei erinnert man sich an die Nachkriegszeit, die von Verschleppung, der Verbannung der deutschen Sprache aus der Öffentlichkeit und einem Zustand der Angst geprägt gewesen sei. Der Ort macht heute den Eindruck einer aufstrebenden und gepflegten Umlandgemeinde von Altlublau/Stará Ľubovňa mit einer dennoch begrenzten Zahl an Zuzügen aus der nahegelegenen Stadt. Auch Hopgarten habe mit Herausforderungen wie mit Fortzügen in die Städte oder ins Ausland, geringen Schülerzahlen an der Schule mit erweitertem Deutschangebot oder dem immer größeren Anteil an Mischehen zu kämpfen. Dennoch sei die Mundart nach Angaben von Maria Recktenwald immer noch lebendig und werde weitergegeben. Deutsche Messen feiert man einmal im Monat – mit slowakischer Predigt. KDJ-Chef Lompart hebt im Gespräch die Bedeutung der Jugend hervor, die man mit Kinderlagern, Jugendfesten und gegenseitigen Besuchen in den einzelnen Regionen für die Gemeinschaft gewinnen wolle.

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In Hopgarten endet die diesjährige Studienfahrt der JBG: mit neuen Erkenntnissen und Kontakten und der Gewissheit, dass der Austausch mit Vertretern anderer deutscher Gemeinschaften beide Seiten bereichert.

Auf dem Bild: KDV-Chef Dr. Ondrej Pöss im Gespräch mit JBG-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Zoltán Tefner und SB-Redakteur Martin Szanyi.

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