Es ist nicht gut um den ungarischsprachigen Unterricht in Siebenbürgen bestellt – er kämpft ums Überleben

(A fennmaradásért küzd, és nem áll jól az erdélyi magyar nyelvű oktatás)

______________________________________________________

Der Beitrag von Noémi Martini ist in der Wochenzeitschrift für Wirtschaft und Politik „HVG” erschienen (13/2023). Zweitveröffentlichung in deutscher Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Deutsche Übersetzung: Richard Guth

Die ungarischen/madjarischen Schulen in den Nachbarländern schließen der Reihe nach ihre Pforten: Die Zahl der Schüler nimmt ab, die Abwanderung ist beträchtlich. Die Sisyphusarbeit einiger Führungsfiguren und Lehrer halten auch am Schauplatz unserer Reportage, dem Komitat Arad, den ungarischsprachigen Schulunterricht und das ungarischsprachige Gemeinschaftsleben am Leben.

„Arad bleibt”, sagen die Domino spielenden älteren Männer am Flußufer des Mieresch umgeben von sprossenden Bäumen. Es stellt sich schnell heraus, dass dies auch der Leitspruch der madjarischen Gemeinschaft im Komitat Arad ist und zum Ausdruck bringen soll, dass die Bewahrung der nationalen Identität durch den Schulunterricht, die Kultur und das örtliche Gemeinschaftsleben einen ständigen Überlebenskampf darstellt.

Arad war nie rein madjarisch, aber vor dem Ersten Weltkrieg, als größte Stadt der Region, betrug der Anteil der Ungarischsprachigen noch 62 %. „Heute sind wir in der Diaspora, nicht einmal 10 % erreichen wir noch”, sagt Levente Bognár, der 20 Jahre lang Erster Stadtrat war. Er fügt hinzu: „Wir wollten nie mehr als das, was uns zusteht, aber selbst das wurde uns nicht immer zuteil.”

Nach den rumänischen Gesetzen soll bei einem Bevölkerungsanteil von über 20 % der Gebrauch der Minderheitensprache gewährleistet werden, aber laut jüngster Volkszählung (2022) bekannten sich lediglich 6,3 % der Bevölkerung des Judeţul Arad, 25.731 Menschen, zur madjarischen Volkszugehörigkeit. Das sind 11.173 weniger als vor zehn Jahren. „Das Minderheitenschicksal kann nur derjenige verstehen, der schon einmal in der Minderheit war”, ergänzt der ehemalige Erste Stadtrat.

Der Kampf ums Überleben vermag jedoch, die Gemeinschaft zu aktivieren. Die Sisyphusarbeit des ungarischsprachigen Schulunterrichtes erledigen einige herausragende Persönlichkeiten federführend. „Wenn wir nicht mit Herz und Seele herangehen würden, dann könnten wir so gut wie nichts mehr erreichen. Es ist vielmehr eine Berufung als ein Beruf”, sagt ein Lehrer in der Diaspora. Wenn die Führung einer Gemeinde eng mit der ungarischen Bildungseinrichtung zusammenarbeitet, dann kann man noch Erfolge erzielen. Dazu gehört die einzige ungarischsprachige weiterführende Schule des Komitats Arad, die Gergely-Csiky-Oberschule (Gymnasium) mit 600 Schülerinnen und Schülern, die nicht nur eine Bastion des muttersprachlichen Unterrichts, sondern auch der hiesigen madjarischen Gemeinschaft ist.

„Die „Csiky” ist mehr als eine Schule. Wir stehen im Kontakt mit den madjarischen Eltern des Komitats Arad, aber auch mit den Kindergärten und Grundschulen, denn nur bei uns können die madjarischen Schüler ihre schulische Laufbahn fortsetzen”, sagt Schulleiterin Tünde Spier. „In Arad hört man mehr rumänisches als ungarisches Wort, es ist nicht so wie im Seklerland, wo in den Geschäften auch die Verkäufer Ungarisch sprechen. Wenn ich hier ungarisches Wort höre, dann drehe ich mich um, um zu überprüfen, ob ich mit dem Sprecher nicht bekannt bin”, so Spier weiter. Die „Csiky” stellt eine Einrichtung für die madjarischen Schülerinnen und Schüler der Umgebung von der Kinderkrippe bis zum Abitur dar und steht ohne Beispiel da. Denn wenn ein madjarischer Schüler bereits als Grundschulkind – auch wenn nur für wenige Monate – die rumänische Schule besucht und die Eltern zu Hause nicht genug Wert darauf legen, ihn mit dem Ungarischen vertraut zu machen, dann geht er für die Gemeinschaft praktisch verloren.

Der Abbauprozess ist nicht immer so spektakulär wie im Falle der Grundschule Nr. 10 in Arad. Das Andenken an die Einrichtung bewahrt ein Gebäude, das an Tschernobyl erinnert. In der Vorfrühlingssonne liegen auf dem vermüllten Schulhof alte PCS und Tastaturen, unter dem abgefallenen Putz der Turnhalle liegt ein Plastikskelett, das man im Biologieunterricht benutzt, und im kniehohen Gras findet der Besucher auch 20 Jahre alte Zeugnisse – vom Regen durchnässt.

In den verlassenen Klassenräumen kann man noch die an die Wände geklebten trigonometrischen Gleichungen erkennen, auf dem Parkettboden stellenweise Spuren von gelegtem Feuer. Alles deutet darauf hin, dass die Räume, die früher von madjarischen Schülern bevölkert wurden, nur noch von Obdachlosen genutzt werden. Einige Meter von der einstigen ungarischen Schule entfernt sorgt heute Kinderlärm für Abwechslung. Damals trennte nicht einmal ein Zaun die blühende rumänische Schule von der Geisterschule. Bei unserem Besuch laufen die Schüler auf dem Sportplatz herum. Das Bild zeigt naturalistisch das Janusgesicht des Schulwesens der Stadt: Der Minderheitenunterricht ist – gelinde gesagt ‑ keine Priorität dort, wo es neben der geschlossenen ungarischen Schule auch eine „einheimische” – d. h. rumänische – gibt.

Die Diasporagemeinden des Komitats befinden sich in einer noch schwierigeren Situation: Nur noch ungarische Abteilungen von rumänischen Schulen halten den muttersprachlichen Unterricht am Leben. In zahlreichen Dörfern existieren nur noch der Kindergarten und die Primarstufe. So auch in Iratoșu/Nagyiratos, das der Legende nach beim Vertragsabschluss von Trianon sogar Teil Ungarns hätte bleiben können – zum Gegenwert einer Kuh! Die damalige Geizhalserei muss das Dorf heute teuer bezahlen. „Es schmerzt, dass wir immer weniger werden”, sagt Bürgermeister Attila Papp. In der einst madjarischen Gemeinde beträgt der Anteil der Madjaren nicht einmal 40 %. Die Abnahme der Kinderzahl, die Abwanderung und die Anziehungskraft der Stadt lassen als unumkehrbarer Prozess den Schülernachwuchs versiegen. In der einstigen ungarischen Schule der Gemeinde wird seit einiger Zeit auf Rumänisch unterrichtet.

Die Kinder, die in rumänisch-madjarischen Mischehen geboren werden, erlernen das Ungarische oft nicht mehr. Viele Lehrer berichten darüber, dass obwohl die Großeltern noch madjarisch sind, sie mit ihren Enkeln nur noch auf Rumänisch kommunizieren können. „In der Familie wird die Wahl der Schule vornehmlich von der Nationalität der Mutter beeinflusst. So ist die effektivste Methode die Überzeugungsarbeit bei den Eltern: … sich für eine ungarische Einrichtung zu entscheiden und vor Ort zu bleiben”, fasst Erika Balog, Lehrerin an der Ferenc-Móra-Grundschule und Kindergarten Zimandu Nou/Zimándújfalu ihre Erfahrungen zusammen.

Letzteres wird auch ein wenig aus Budapest gefördert: Im Rahmen des Programms für Erziehung und Unterricht „Szülőföldön magyarul” (In der Heimat auf Ungarisch) erhält jede madjarische Familie außerhalb der Landesgrenzen, die ihr Kind in einer dortigen ungarischen Kindertagesstätte oder Schule unterbringt, pro Kind und Schulhalbjahr 22.000 Forint (58 Euro). Das Förderprogramm wird gegenwärtig von 100.000 siebenbürgischen und 42.000 madjarischen Familien in der Slowakei genutzt – die Förderung soll 2024 um 400 % erhöht werden (auf dann über 80.000 Forint oder 215 Euro).

Wenn eine madjarische Familie ihr Kind nicht auf eine städtische Schule schickt, sondern vor Ort beschulen lässt, ist das ein wichtiger Beitrag zum Überleben der Schule. Dies kann aber vielfach nur dank der Tätigkeit von Aktiven erfolgen wie Erika Balog, die als Gemeinderätin, Kindergärtnerin und Grundschullehrerin arbeitet. Die Schule von Zimandu Nou wird von vielen als beispielgebend betrachtet. Dort hat man eine solche mittelfristige Strategie entwickelt und umgesetzt, die durch die Erhebung der Ansprüche und Erwartungen der Ortsansässigen auf einen qualitativ anspruchsvollen Unterricht abzielt. So kann man dann nicht nur das Überleben der Schule sichern, sondern auch Erfolge beim Unterricht aufzeigen. Das wird von vielen anerkannt.

In der Lernstandserhebung für die madjarischen Grundschüler der Jahrgangsstufe 8 hat die Schule von Zimandu Nou in zwei Jahren den ersten Platz belegt. Dass die Schulleiterin die Schüler jeden Morgen mit offenen Armen empfängt und die Kinder die Schulleiterin lachend umarmen, zeigt die Bedeutung einer emotionalen Bindung. Während Balog uns mit Kuchen empfängt und mit strahlenden Augen begeistert über die Schule erzählt, pflanzen unter dem Fenster Schüler einen Baum. Auch anderswo ist die Schüleraktivierung wichtig: An der Oberschule „Csiky” wird eine Schülerzeitung herausgebracht und Tanzunterricht angeboten.

Die ungarischen Schulen stehen im engen Kontakt zueinander und organisieren gemeinsame Veranstaltungen, um die Traditionen zu bewahren und die Eltern dazu zu ermuntern, anstelle einer städtischen Eliteeinrichtung ihre Kinder – falls möglich – auf die Dorfschule zu schicken. Da es aber nicht in jedem Dorf eine ungarische Schule gibt, kommt dem Schulbusprogramm eine besondere Bedeutung zu, das ab diesem September mit weiteren Fahrzeugen mehr Kindern eine Mitfahrgelegenheit bieten soll. Häufig werden auch Kinder – gerade aus sozial schwachen Familien – von Lehrern mitgenommen. Wenn es solche Möglichkeiten nicht gäbe, würden sich die Familien für den einfacheren Weg entscheiden, das heißt für eine rumänische Schule vor Ort. „Denn was der Mensch plant, führt die Mehrheit aus”, so Levente Bognár, der nach 20 Jahren Erstes Stadtratsmandat immer noch zu Taten bereit ist.

 Link: https://hvg.hu/360/20230402_hvg_Erdely_Romania_magyar_oktatas__fogyatkozo_kisebbseg_asszimilacio_egyket_magyar_osszehajol

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!