Klatschtanten und Beifallhusaren

Von Robert Becker

Sein eigenes Leben macht man sich nicht immer selber schwer, wobei man im Rückblick betrachtet, eigene Mitschuld dessen zum Trotz oft ohne Mühe entdecken kann. Hindernisse aller Art können jedoch nur im seltensten Fall einfach den Umständen in die Schuhe geschoben werden, konkreten Menschen aber, die diese Verhältnisse oft unter zu anerkennender Mühe herbeigeführt und mit dem Anspruch, über das Mittelmaß ihrer Horizonte hinaus niemanden vordringen zu lassen, eigens geschaffen haben, schon. Dies ist das wahre und unverfälschte Osteuropafeeling, wo man sich selbst als biegsamen Untertan in den Klub der Diener, sei es durch Schmeicheln mit langer Zunge oder durch Aufmerksamkeiten, Gefälligkeiten aller Art, durch die Rücknahme seiner eigenen, wahren Gesinnung, damit eine Hand wasche die andere, mit Mühe einzukaufen hat.

Dann noch der großartige Neid, der in seiner widerlichsten Ausformung Schadenfreude erzeugt, so jemand, der nicht gerade durch die Gunst der Stunde dabei gewesen ist, voranzukommen, endlich gebracht werden kann zum Fall. Das Bleiben-Müssen in dem Morast des falschesten, unehrlichsten Feudalismus seilstarker Abhängigkeiten, was man nicht selten als „Konservativismus“ gerne bezeichnet. Dadurch verspottet man aber gerade diesen Begriff, da man ihn bereits durch diese Einordnung durch den Schlamm zieht, weil der Ausdruck hier ja nicht mehr heißen soll, als jene starren Verhältnisse einzufrieren, die seit Jahrhunderten die breiteste Masse in klebriger Abhängigkeit behalten sollen, wobei eine schmale Schicht, die gerne unter Berufung auf Historie und Tradition als unantastbar erscheinen will, und dabei jede Idee verraten, ohne die geringste Bereitschaft zur Verantwortung in Wohlstand und Sünde schwelgt.

Selbst Kataklysmen aller Art vermochten daran während Jahrhunderte nicht zu ändern, so ist östlich der Elbe Wegelagerei bis heute legitime Sportart, sich selbst gesalbter und eigens als führend deklarierter Schichten geblieben. Als Quintessenz ihrer Erfahrung achtet dabei die Masse die hemmungslosesten unter allen Kontrahenten am meisten, denn was als Lebensweisheit unter den gegebenen Bedingungen sich seit jeher für sie herauskristallisiert hat, ist es, die als Eigenschaft erscheinende, relative Art der Wahrheit dringend und notwendig anzuerkennen, auch wenn sich diese von der eigenen Wahrnehmung oft auf ewig weiter Distanz befindet. Jene Verlogenheit also, die unter allen Umständen anzunehmen, zu widerkauen und im Erwartungsfall in den eigenen Mund aufgestoßen als Treuebeweis ohne zu zögern in aller Regel auch zu wiedergeben ist.

Dieses Beispiel der Akzeptanz jeglicher manipulativer, böswilliger Verlogenheit hat sich von Generation auf Generation vererbt und ist gewissermaßen bereits zum Erbgut kristallisiertes faules Fleisch. Zum Ausweg ist seit eh und jäh jenes Schuhwerk geworden, das die hartnäckig Abweichenden von der Masse selektiert, und oft genug in wohl ehrlichere Verhältnisse davonträgt.

Wer sich an die hier geltenden Sitten nicht hält, ist selber schuld, denn hier wird nach gegebenen Regeln gespielt, bei denen manche, um den Fortbestand bestehender Verhältnisse zu sichern und zu kontrollieren, jenen Vorteil genießen, dass sie in die Karten aller getreuen Beteiligten Einsicht genießen, somit die Bank der Obrigkeit immer gewinnt. Jegliches „Recht“ hat sich in diesem Sinne zu fügen, was die Paragraphen auch brav und entsprechend deklarieren: Das ist der für uns vorgesehene Rechtsstaat.

Wie es bereits festgehalten wurde, ist: „Jede Bleibe ohne Sinn. Und doch: aus Trotz.“ – Und ja, aus einer unerklärlichen Liebe zur Heimat, die auch wir hier einst besaßen, wir Deutsche in Ungarn, der wir übers Maß treu geblieben sind, selbst wenn sie uns nicht ein einziges Mal nur den Laufpass bereits schon ausgestellt hat und uns auf staubiger Straße die eigenen Tränen trinken ließ.

Schicksal. Oder? Oder Dummheit, aus der Geschichte bis heute selber nicht dazugelernt zu haben, sich so zu assimilieren, wie wenn ein Hobel, eine Fräse, einem den Rücken hochgefahren wäre, wodurch man all seine Späne jeglichen Andersseins, bis zu jener eigenen Substanz, die noch eine charakteristische Maserung aufweist, abgeworfen hat, nur um sich noch einschleifen zu lassen, bevor man einen Einheitslack aufgestrichen bekommt, der alles zur gleichen Pampe schmiert.

Kein Recht auf sich selbst? Auf seinen Fortbestand, auf seine Art? Wo hört der eigene Sinn des Menschen auf? Ist abzuweichen, sich nicht in die Einheitsmasse kneten zu lassen, eine zu beseitigende Gefahr? Scheindasein ohne Überzeugung zu führen, ist mehr zu loben als ehrlich geführte Existenz? Nur damit man nicht Schule mache und das Fatamorgana des mühselig zusammengetüftelten Erbsystems der hierarchistischen Lügenpyramide irgendwie noch zum Einsturz bringe?

Nein, es gibt zu dem ganzen Gebilde auch sinnesgleiche Mitwirkende. Überlebernatur. Wenn es schon so ist, wie es ist, sicher nicht illegitim. Geschmacksache halt, ob man selber einer von Klatsch-Tanten und Beifall-Husaren werden will, denn nach einem üppigen Mahl mit noch so vielen Gängen, kommt der Kellner vielleicht eines Tages doch noch mit der Rechnung unter der Glocke. Nun aber, wie es sich bereits oft schon gezeigt hat, ist es selbst zu diesem Moment noch nicht klar, an wem die Zeche weitergereicht wird, um sich mit sonst gut gefülltem Magen zum Braten des nächsten Tisches zu retten.

 

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