Eigenen Emotionen Zeit und Raum bieten

Wanderausstellung über Deutsche auf fünf Kontinenten will intensive Einblicke verschaffen

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Von Richard Guth

Bilder, die einen nicht loslassen – Menschen, Landschaften, Tätigkeiten! Man bleibt vor ihnen stehen und beobachtet sie intensiv. Nicht nur die stationär ausgestellten Bilder, sondern auch die der Online-Ausstellung, eine Errungenschaft unserer Zeit! Die Bilder aus fünf Kontinenten, die auch im Herbst in Fünfkirchen ausgestellt wurden, stammen vom in Hamburg lebenden deutschen Fotografen Jörg Müller, der sich für ein Gespräch mit dem Sonntagsblatt bereiterklärt hat.

Die Idee, deutsche Sprachinseln auf fünf Kontinenten zu fotografieren, entstand nach einem Reportage-Auftrag der Zeitschrift National Geografic über eine mennonitische Gemeinde in Kirgisistan. Für jede Reise beziehungsweise für jeden Kontinent gab es nach Angaben des Fotografen einen Förderer – so finanzierte das Goethe-Institut die Recherche in Litkovka, Sibirien, beziehungsweise half bei der Ortsfindung für die Stationen der Wanderausstellung. Auch „Goethe” sei es zu verdanken gewesen, dass die Wanderausstellung in Fünfkirchen Halt machte, in deren Genuss dann vor allem Schülerinnen und Schüler des Valeria-Koch-Schulzentrums gekommen seien. „Dennoch war es ein schwieriger Ansatz, wegen der fünf unterschiedlichen Förderungen. Eine hat im letzten Moment nicht geklappt, was das Projekt in die Länge gezogen hat”, so Jörg Müller.

Es waren am Ende 10 Reisen, im Schnitt hielt sich Müller 4-5 Wochen an einem Ort auf. „Man muss einen Zeitpunkt aussuchen, wo was passiert. Im Falle von Oberwischau in Maramuresch waren es zum Beispiel das Zipsertreffen und das Brauchtum rund um Weihnachten”, berichtet der erfahrene Fotograf. Und warum 4-5 Wochen? „Weil man ab drei Wochen aus dem touristischen Stadium herauskommt“, so Müller. Er berichtet darüber, dass er überall freundlich aufgenommen worden sei, die Menschen ħätten sich offen gezeigt. „Ich war in Litkovka nach ein bis zwei Tagen bekannt wie ein bunter Hund”, schmunzelt Jörg Müller. Er führt diesen offenen Empfang darauf zurück, dass für diese Menschen „Deutschland wichtig ist und so stellt ein Deutschlandbesuch etwas Besonderes dar”.

Dabei sei die Auswahl der Orte bewusst gewesen. Es gehe bei allen fünf Orten, um Gemeinden, „die eine Zukunft haben. Aber gleichzeitig haben diese Orte für ihre Umgebung einen Aufschwung erreicht, was zum Zuzug von außen geführt hat, wie im Falle des brasilianischen Pomerode”, ergänzt Müller. Mich hat in diesem Zusammenhang interessiert, wie sich dieser Austausch mit der Umgebung auf den Sprachgebrauch der jeweiligen Gemeinschaft nach Müllers Eindruck auswirkt(e). Es gäbe große Unterschiede, die besten Sprecher habe er in Rumänien und Südafrika getroffen – in beiden Orten seien die meisten Bewohner mehrsprachig und gebildet (was aber keinesfalls bedeuten soll, dass es in anderen Gemeinden der Umgebung nicht ähnlich sein soll). In Südafrika lege man zudem großen Wert auf die Sprachvermittlung, wohingegen in Brasilien und Russland deutliche Zeichen des Sprachverlusts wahrnehmbar seien. Im Falle von Brasilien, wo in der Ursprungssiedlung noch fast alle Deutsch sprächen (dennoch werde in vielen Familien, gerade mit den jungen Generationen, nicht mehr deutsch gesprochen), liege es wohl an der fehlenden deutschen Schule: Im evangelischen Kolleg Doutor (Doktor) Blumenau gibt es bis zu fünf Stunden Deutsch pro Woche. Die sibirische Gemeinde im Umland von Omsk, wo die Russlanddeutschen immer noch zwei Drittel der Bevölkerung stellen, wurde von deutschen Siedlern aus Wolhynien gegründet und liegt sehr abgelegen. Die Bewohner lebten nach Müllers Angaben bis etwa 1900 in den umliegenden Wäldern. Im Zuge einer Gebietsreform wurden für diese russlanddeutschen Siedler mehrere Dörfer gegründet, wo sie angesiedelt wurden – eines davon ist Litkovka. Die in der sowjetischen Zeit gegründete Milchviehkolchose habe die „Wirren der Wendezeit überlebt”, dennoch führten die Bewohner weiterhin ein hartes Leben. In der Schule würden zwei Deutschlehrerinnen, deren Muttersprache Deutsch sei, arbeiten. In Rumänien gestalte sich die Situation anders. Nach Auswanderung der Mehrheit der Deutschen besuchen viele madjarische und rumänische Kinder die deutschen Kindergärten und Schulen: „Insbesondere der deutschsprachige Kindergarten ist bei den rumänischen Eltern beliebt, während es dort nur noch wenige Kinder aus Zipserfamilien gibt”, sagt der Fotograf.

Einen Sonderfall stellen wiederum die mennonitischen Siedler in der Manitoba-Kolonie in Mexiko dar – entlang einer 37 km langen Schnellstraße: „25-30 % von ihnen sind progressiv eingestellt. Sie sprechen perfekt Hochdeutsch. Die traditionellen Mennoniten hingegen benutzen nur ihren plattdeutschen Dialekt, der nicht zu verstehen ist”. Es gebe in den Siedlungen zwei deutsche Schulen, die mit deutschen Geldern gefördert würden: in Blumenau zum Beispiel eine leistungsstarke Schule, wo man das Deutsche Sprachdiplom (DSD) ablegen könne. Dank DSD würden immer mehr junge Leute ein Studium in Deutschland aufnehmen. Man investiere nicht nur in die Bildung, sondern auch in Fabriken. Das Motto laute: „je mehr Bildung, desto mehr Know-how”. Müller hat nach eigenen Angaben auch einen Unternehmensberater getroffen, der in Deutschland studiert hat und nun mennonitische Farmer beim Apfelanbau berate. In diesem Gebiet gebe es zudem eine Genossenschaftsbank mit 90 Filialen, die Erntehilfen gewähre – an dieser Bank halten nach Müllers Angaben die Mennoniten Anteile und der Bankdirektor habe seine Hoffnung geäußert, dass Rückkehrer, die in Deutschland studieren, eine Anstellung in der Bank anstreben könnten.

Im Ergebnis dieses Fotoprojekts entstand eine Zusammenstellung von Fotos, bei der es darauf angekommen sei, dass „die Ausstellung funktioniert”. Und diese Ausstellung im Zeichen der Dokumentarfotografie funktioniere „über die Räume, das heißt der Betrachter soll ein Gefühl bekommen, wo er sich gerade befindet und wie die Nachfahren der Deutschen in den fotografierten Gemeinden leben, welche Unterschiede  und Gemeinsamkeiten bestehen”. Gerade in Fünfkirchen habe man die räumlichen Gegebenheiten mit sechs Räumen sehr gut ausnutzen können, so der Profifotograf. Die Arbeit habe für ihn in diesem Fall „große Freiheiten zu haben” bedeutet; die Herausforderungen seien eher auf der administrativen Seite gelegen.

Die erste öffentliche Ausstellung aller fünf Orte fand im Auswärtigen Amt in Berlin statt. Bereits hier habe man sich über viele Gäste freuen dürfen. Auch ins Hamburger Auswanderermuseum Ballinstadt ging dann die Wanderausstellung, über die in zwei großen Fernsehbeiträgen und den Hamburger Tageszeitungen umfangreich berichtet wurde. Schwierigkeiten hätten die Corona-Bestimmungen bereitet, dennoch habe man es geschafft, drei Schulklassen durch die Räume zu führen. Im Sorbischen Museum Bautzen habe man eine Plenumsdiskussion zum Unterthema der Ausstellung „Im Spiegel der Migration” veranstaltet und „Leute mit Migrationshintergrund und Leute, die sich mit Migration beschäftigen, eingeladen”, es spielte eine moderne sorbische Musikgruppe.

Für den Sonntagsblatt-Leser ist vielleicht der Ungarn-Aufenthalt von besonderem Interesse: Hier habe man wiederum Schulklassen durch die Ausstellung geführt, was auch für Müller „viel Spaß gemacht” habe. „Die Annahme, dass junge Leute Bilder nicht mehr betrachten, ist falsch, zwei-drei Schüler standen jeweils vor den Bildern und diskutierten. Das hat sie wirklich interessiert. Nicht einmal 1,5 Stunden haben ausgereicht, obwohl wir ursprünglich 45-minütig geplant haben”, freut sich Jörg Müller. „Sie hören zu, wenn sie etwas interessiert – in diesem Fall wenn über die junge Generation erzählt wird”. Und noch etwas war für ihn wichtig: „Hier geht es nicht um das schnelle Bild wie in unserer medialen Welt sonst – und das bietet aus meiner Sicht eine Perspektive für die Zukunft.”

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Die Wanderausstellung ist online unter folgender Adresse zu erreichen: https://www.joergmuellerfotografie.de/5x-deutschland

Das Beitragsbild dient lediglich zur Illustration.

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