Deutsch-ungarndeutsche Begegnungen (1) – Ein Ruhrpottlehrer in der Batschka

 Von Nicolaj Nienhaus

Haben Sie schon einmal versucht sich den Namen von Menschen zu merken, bei denen Sie Nach- und Vorname nicht voneinander klar unterscheiden können? Noch während Sie grübeln, welcher der beiden wohl der richtige sei und zusätzlich zur Unklarheit, ob man sich im „Du“ oder „Sie“ anspricht, werden Sie merken, wie das Kurzzeitgedächtnis Sie im Stich lässt und keiner der beiden Namen je das Langzeitgedächtnis erreichen wird. Beim nächsten Treffen mit der Person lächeln Sie freundlich, erinnern sich vermutlich an die Vorstellung und kramen verzweifelt im Hinterstübchen, in welchem sich die Namen beim letzten Mal vermutlich aufgelöst hatten.

Die Tatsache, dass in Ungarn bei der Nennung meines Namens ich z.B. als Nienhaus Nicolaj vorgestellt würde, ist auf den ersten Blick nicht weltbewegend. Wenn dies aber a) in keinem Reiseführer steht, somit unvorbereitet kommt und Sie b) bei ungarischen Namen auch nicht unterschieden können, ob es sich um einen gängigen Familiennamen wie Müller, Meier oder Schmidt oder einen exotischen Vornamen handelt, dann haben Sie ein Problem.

Da freute es mich umso mehr in der ungarndeutschen Gemeinde in Baja auch Namenskonstellationen anzutreffen, bei denen auch ich mit Sicherheit wusste, dass z.B. Schmitz kein Vorname ist. Erst durch diese Auffälligkeiten wurde mir bewusst, dass die – in Deutschland meines Wissens nach nur noch in ländlichen Gegenden Bayerns verwendete – Reihenfolge der Namen hier umgekehrt ist. Ist dies eine ungarische oder ungarndeutsche Eigenschaft?

Das war eine der vielen Fragen, die ich mir vor einigen Wochen am Anfang meiner Tätigkeit am Ungarndeutschen Bildungszentrum (UBZ) in Baaja/Baja stellte.

Ich bin seit Anfang März als Praktikant an der Grundschule tätig. Im Rahmen meines Studiums ist dieser letzte Schritt auf dem Weg zum Abschluss die mehrmonatige Mitarbeit an einer Schule, die ich hier in Südungarn absolvieren wollte. Aus meinem Umfeld, welches quer durch die Republik verteilt ist, aber insbesondere aus meiner familiären Heimat, dem tiefsten Ruhrgebiet, welches keinerlei Verbindungen zur ungarndeutschen Kultur hat, kam des öfteren die Frage

„Warum ausgerechnet das ländliche Ungarn?“ Ich muss anfügen, dass nach meinem Verständnis Baaja mit ca. 36.000 Einwohnern ein Dorf ist; die kleinste Stadt, in der ich jemals gelebt habe, war Erfurt, die thüringische Landeshauptstadt, mit 200.000 Einwohnern, was mir schon sehr klein vorkam. Nach dem Ruhrgebiet mit mehreren Millionen Einwohnern und München, ebenfalls mit einer Bevölkerung jenseits der Millionengrenze, wirkte die Kleinstadt bei Google-Maps sehr niedlich.

Die Vorstellung von zweisprachigem Unterricht fand ich äußerst interessant und dabei den Kontakt zu einer Volksgruppe zu knüpfen, die kulturell gleich ist aufgrund der deutschen Herkunft, aber irgendwie auch nicht, fand ich äußerst reizvoll. Von der Volksgruppe der Donauschwaben hatte ich bereits gehört, ich sah vor meinem inneren Auge eine Volksgruppe mit (für mich) unverständlichem schwäbischen Dialekt, frei nach dem Motto „Schaffe, schaffe, Häusle baue.“

Ich erwähnte oben mein Umfeld, welches kreuz und quer durch Deutschland verteilt ist. Ganz Deutschland? Nein, einen kleinen grauen Fleck gibt es dort, nämlich das Schwabenländle. Bei meiner Vorbereitung fiel mir auf, dass eine gute Freundin aus Baden wohl eine derart… deutliche Schilderung ihrer lieben „Nachbarn“ hinterlassen hatte, dass es mich bis auf einen Besuch in Stuttgart nie zu den Schwaben zog. Ich spiele gern mit Klischees, weshalb das Schwabenland bei mir als Reiseziel aufgrund der Menschen nie verfing; natürlich ist dies alles ironisch gemeint und ich werde eines Tages auch diese Gegenden erkunden. Bisher amüsierte ich mich jedoch köstlich über diverse Schwabenwitze, die sich meistens um den bewussten Umgang mit Geld drehen (um es ganz vorsichtig zu formulieren).

Ich probiere gern Neues aus, auf allen Ebenen, und wagte daher den Schritt nach Baaja. Ich wurde freundlich (und verständlich) von den Kolleginnen empfangen, wo ich das erste Mal mit dem o.g. Problem der korrekten Namensidentifikation konfrontiert wurde. Durch das kollegiale Umfeld wurde mir direkt das „Du“ angeboten, was immerhin ein Teilproblem löste.

Im Klassenraum folgte der nächste Schock: Mein Deutsch war – insbesondere bei der Volkskunde – schlicht fehl am Platz. Die Lehrerin behandelte zu der Zeit die ungarndeutsche Küche: Speisen, Geräte, Prozesse, alles war für die Kinder visualisiert an den Wänden verteilt. Nur: ich erkannte davon kaum etwas…

Würde meine Großmutter, Jahrgang 1936, oder ihre Vorfahren mir ihre Küche anno 1800 gezeigt haben, stände ich vermutlich vor einem ähnlichen Problem, das möchte ich gar nicht abstreiten. Aber das Selbstbewusstsein als kompetenter Muttersprachler bekam schon eine leichte Delle. Ein Simperl? Milchhafen? Wellholz? Was tut man damit?

Bedenken Sie, ich bin die Generation Thermomix! Der Computer schickt der digitalen Küchenmaschine das gewünschte Rezept, parallel kann man online bei Rewe seine Einkäufe bestellen (sogar liefern lassen) und das Gerät führt mich Schritt für Schritt durch den Kochprozess, während die integrierte Waage akustisch signalisiert: „Es reicht.“

So stand ich da und war in der ersten Stunde ziemlich verdattert. Akustisch und sprachlich gab es überhaupt keine Barrieren, ich war wirklich beeindruckt, dass die Kolleginnen fließend vom Ungarischen ins Deutsche und zurück wechseln können. Als großer Freund des mehrsprachigen Unterrichts (bedenken Sie meine Herkunft im Schmelztiegel des Ruhrgebiets) war ich hier im siebten Himmel; nur dummerweise konnte ich selbst nicht wirklich höher hüpfen als eine handbreit über den Boden.

Wie die Lehrerin nach der Stunde zugab, sind natürlich die wenigsten Geräte aus vorherigen Zeiten heute noch im Einsatz, der Fortschritt hält kontinuierlich Einzug und auch unsere Eltern werden froh über jede Erleichterung des Arbeitsalltags gewesen sein; Tradition im Alltag ist halt sehr anstrengend.

Nichtsdestotrotz war ich froh diese Erfahrung gleich zu Anfang gemacht zu haben und die Unterschiede zwischen den vorherigen Generationen aufgezeigt bekommen zu haben. Ehrlich gesagt bin ich dadurch sehr neugierig geworden, wie das Leben meiner Ahnen wohl (erstmal in Bezug auf die Küche) ausgesehen haben muss. Und auch wenn Sie keinen pädagogischen Beruf oder Interessen haben, ist vermutlich klar, dass Offenheit und Neugierde kein schlechter Anfang beim Lernen sind…

Die Lehrerinnen haben allein bei mir daher schon erreicht, was sie bei Ihren Schülerinnen und Schülern bezwecken: Interesse an den Vorfahren, Neugierde wie das Leben damals gewesen sein muss und (im letzten Schritt schon weit gedacht) wie auch wir unsere Herkunft bewahren können.

Bis heute sind die beobachteten Stunden der Volkskunde für mich viel zu interessant, um Methoden oder Handkniffe der Lehrkräfte zu notieren, ich passe viel zu sehr auf, was die Kinder (und ich) mitnehmen können. Ich bin sehr neugierig auf die weiteren Erfahrungen und werde, hier meine Eindrücke als „junger“ Deutscher (Jahrgang 1994) mit Ihnen teilen: Wie wirkt die ungarndeutsche Kultur und der Umgang der Menschen mit dieser auf jemanden, der aus einem ähnlichen Kulturkreis kommt, aber selbst nie mit Brauchtum in Kontakt kam? Das Ruhrgebiet ist, wie ich bereits oben erwähnte, eher ein Schmelztiegel als ein bewahrendes Element; daher freue ich mich umso mehr nun auf eine Kultur, der ihre Wurzeln wichtig sind. Wie dies z.B. am 15. März parallel zur ungarischen Sichtweise gelebt wird, erfahren Sie demnächst.

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!