Von Dr. Hans Dama
Vorspann: Am 19.1. findet anlässlich von Mihai Eminescus Geburtstag (15. 1. 1850) im Rumänischen Kulturinstitut (ICR) in Wien eine dem Dichter gewidmete Veranstaltung statt, bei der in einen Vortrag von Hans Dama in deutscher Sprache „Eminescus Studienjahare in Wien“ beleuchtet wurden.
Eine für später unter dem Titel „Eminescu -Patient in Österreich“ geplante Veranstaltung wurde ebenfalls ins Auge gefasst.
Bei der Veranstaltung am 19.1. werden die Schauspieler des Wiener Pygmalion-Theaters, Tino Geirun und Philipp Kaplan, einige bereits in Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und Rumänien erschienene Eminescu-Übersetzungen von Hans Dama vortragen. Wir veröffentlichen den Vortrag vorab.
Vortrag
Die Entfaltung des lyrisch-philosophischen Schaffens Mihai Eminescus ist ohne seine Wiener Studienzeit kaum vorstellbar, ja kaum erklärbar. Der Dichter kommt im September 1869 in Begleitung seines Vaters Gheorghe Eminovici, seiner Mutter Raluca und seiner Schwester Aglaie sowie seiner Bruders Matei von Czernowitz über Lemberg (Lwów/Lviv) und Prag nach Wien. Im Atelier des Fotografen Jan Tomas auf dem Prager Wenzelsplatz entstand das bekannte Jugendfoto des Dichters.
Das Erscheinungsbild des Dichters war nach Aussagen seines Bruders Matei und anderer Augenzeugen imponierend:
-Größe 1, 65 m
– sehr solide und kräftig
-herkulesähnliche Muskulatur
-schwarzes Haar
– weiß-bräunlicher Teint
-dunkelbraune Augen
-Nase: gerade
-Platfuß
-kleine Hände
-normales Gebiss -gelblich (vom Nikotin und Tabak)
-üppiger Haarwuchs
-Gangart: nachdenklich-mit gebeugtem Kopf, den Blick nach unten; Hände in den Taschen
– Breitkrempiger Hut
– Im Winter: Astrachan-Pelzmütze
-ungepflegten Schnurrbart, den er mitunter mit den Lippen bewegte.
Die erste Wohnadresse der Familie Eminovici befand sich auf der Porzellangasse 9, heute der 9. Gemeidebezirk, Alsergrund. Seit 1865 verkehrte dort eine Pferdestraßenbahn; erst 1897 wurden in Wien die Straßenbahnen elektrifiziert.
Der Dichter kommt im September 1869 nicht in irgendeine Stadt: Wien ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von seiner kulturellen Ausstrahlung her, neben Paris die wohl potenteste Stadt auf dem europäischen Kontinent.
Der junge Eminescu war in seinem 19. Lebensjahr. In Wien erlebte er das bunte Treiben rund um die Entstehung der Ringstraße: Die Oper (1869) und die Votivkirche (1871) werden während seines Aufenthaltes fertiggestellt. Parlament, Burgtheater, Rathaus und die neue Universität am Ring sind geplant oder bereits im Bau.
In Wien trifft Eminescu einige seiner ehemaligen Klassenkollegen vom Czernowitzer Obergymnasium sowie einige Bekannte aus der Zeit seines Aufenthaltes in Blaj und Hermannstadt: Teodor Nica, Ioan Bechnitz, Al. Chibici-Ravneau, T. V. Ştefanelli, Iancu Cocinschi, Samoil Isopescu, Petru Novleanu und nicht zuletzt Ioan Slavici.
Dieser hält, Eminescu betreffend, folgendes fest:
[…] cînd a venit la Viena, Eminescu, deşi nu împlinise douǎzeci de ani, era om nu numai cu multǎ ştiinţǎ de carte, ci totodatǎ şi sufleteşte matur şi ca îndeosebi mie, care eram cu doi ani mai în vîrstǎ, mi-a fost, în multe privinţe, bun îndrumǎtor – ceea ce le-a mai fost de altminteri şi altora dintre colegii lui români din Viena. […][1]
[…]Obwohl Eminescu noch keine zwanzig Jahre zählte, als er nach Wien kam, war er ein Mensch, der nicht nur ein hohes Bildungsniveau, sondern auch seelische Reife erlangt hatte, so dass er insbesondere mit, dem um zwei Jahre Älteren, in vielen Belangen ein guter Ratgeber war, was er übrigens auch für viele andere seiner rumänischen Kollegen in Wien bedeutete. […]
Slavici und Eminescu wurden durch die Vermittlung des Medizinstudenten Ion Mosanu im Winter 1869 miteinander bekannt. Slavici studierte damals an der Fakultät für Rechtswissenschaften und leistete gleichzeitig seinen Militärdienst in Wien als „Soldat des Kaisers“ ab. Eminescu inskribierte am 2. Oktober 1869 an der philosophischen Fakultät der Universität Wien als außerordentlicher Hörer. Als solcher war er berechtigt, Vorlesungen zu besuchen und den Nachweis des Vorlesungsbesuchs in einem Index lectionum (Studienbuch) vermerken zu lassen. Weil er aber noch keine Matura (Abitur) hatte, war er nicht berechtigt, bei Prüfungen anzutreten. So gab sich denn der wissenshungrige junge Mann einem ungezwungenen Studium hin, ohne sich viel um die formale Seite dieses Studiums zu kümmern. Laut Matrikeln hatte er nur drei Semester inskribiert: das WS 1869/70, das WS 1871/72 und das SS 1872.
Der Dichter war keinesfalls das, was man einen konsequenten Besucher von universitären Lehrveranstaltungen nennen könnte, sondern bevorzugte vielmehr die Lektüre im stillen Kämmerlein, inmitten von Bergen von Büchern. Und wenn er es doch übers Herz brachte, die heiligen Hallen der Universität aufzusuchen, galt seine Beobachtungsgabe – durchs Fenster – manchmal auch dem Treiben auf den engen Gassen rund um die alte Universität in der heutigen Bäckerstraße bzw. am Ignaz-Seipel-Platz, im 1. Wiener Gemeindebezirk:
Prin ferestre uliternici
noi priveam pe madam Maier,
şi priveam cum mamzel Resi
şi cu Seppi joacǎ ştaier.[2]
Durch die Fenster hin zum Gasserl
wir die Madam Maier sehen,
und wie Seppi und das Reserl
hurtig ihren Reigen drehen.
Eminescus unstillbarer Wissensdrang veranlasste ihn jedoch, die verschiedensten Vorlesungen zu besuchen, so dass er sich nicht auf Philosophie, Geschichte und Rechtswissenschaft beschränkte, sondern auch Vorlesungen über Finanzwesen, Gerichtsmedizin, Chemie, romanische Sprachwissenschaft, Biologie, Anatomie u. a. m. hörte.
Andererseits wohnte er auch den chemischen Versuchen im Laboratorium von Prof. Nicolae Teclu an der Technischen Akademie bei. Gerne hörte er die Vorlesungen Adolf Mussafias über romanische Sprachwissenschaft.
Der Dichter eignete sich demnach kein einseitiges Wissen an, sondern war vielmehr bedacht, sich in die verschiedensten Bereiche einzulesen. Die hierfür erforderlichen Bücher stammten entweder aus der Universitätsbibliothek, aus der Hofbibliothek oder aus Buchhandlungen bzw. Antiquariaten, die er häufig belagerte, oder aus den Beständen seiner Kollegen.
Eminescu konnte sich tagelang, entweder auf einem Kanapee ausgestreckt oder durchs Zimmer schreitend, einer Lektüre widmen. Das Hauptaugenmerk galt jedoch der Literatur. Er las viel, auch viel deutsche Literatur, deutsche Übersetzungen; er kannte die deutschen Klassiker bestens aus seiner Zeit im Obergymnasium in Czernowitz.
Der Dichter fand in Wien zwei von seinen rumänischen Landsleuten gegründete akademische Gesellschaften vor: Es handelt sich um die Societatea Literarǎ şi Ştiinţificǎ a Studenţilor Români din Viena (Die literarisch-wissenschaftliche Gesellschaft der rumänischen Studenten in Wien) – gegründet 1864 – und die Societatea Literar-Socialǎ România (Die sozial-literarische Gesellschaft Rumänien) – 1867 ins Leben gerufen.
Am 20. Oktober 1869 trat Eminescu beiden Gesellschaften bei. Aufgrund seiner Wortmeldungen und konstruktiven Diskussionsbeiträgen wurde der junge sympathische Mann von den Mitgliedern auch bald akzeptiert und erfreute sich einer steigenden Autorität. Eminescu gehörte zu den treibenden Kräften, die den Zusammenschluss beider Vereinigungen zu einer einzigen Gesellschaft Societatea Academicǎ Social-Literarǎ România Junǎ bewirkten, was am 8. April 1871 auch tatsächlich verwirklicht werden konnte: Ioan Slavici wurde Präsident, Eminescu Bibliothekar.
Am 1. Januar 1870 stattete eine kleine Gruppe rumänischer Studenten dem am 23. Februar 1866 zur Abdankung gezwungen und vorübergehend im Wiener Exil lebenden rumänischen Herrscher Alexandru Ioan Cuza (* 20. März 1820 Bârlad, Rumänien, † 15. Mai 1873, Heidelberg) einen Besuch in dessen Wohnung auf der Billrothstraße 26-30, in einem inzwischen abgetragenen Haus, ab. Dieser Gruppe gehörte auch Eminesu an.
Besonders fasziniert war Eminescu vom Wiener Theater- und Musikleben. In der Zeit, als Eminescu in Wien weilte, setzte am Hofburgtheater mit Franz Dingelstedt als Direktor – er löste Heinrich Laube in dieser Funktion ab – dahingehend eine Wende ein, dass der neue Theaterdirektor die großen Klassiker der Weltliteratur ins Repertoire aufgenommen hatte, wurden doch bisher vornehmlich deutsche Autoren – Lessing, Goethe, Schiller, Iffland, Kotzebue – wenige Shakespeare-Stücke und einige Komödien von Molière gespielt.
Obwohl außer dem Burgtheater und der Hofoper namhafte Bühnen Wiens – wie z. B. das Carltheater, das Theater in der Josefstadt, das Theater an der Wien u. a. – die Zuschauer angezogen hatten, bevorzugte Eminescu das Burgtheater und die Hofoper. Er gehörte zu den Stehplatzbesuchern und wohnte unter anderem den Aufführungen von Heinrich IV., König Lear, Antonius und Kleopatra bei. Die realistischen Inszenierungen der Shakespeare-Stücke konnten den jungen Dichter besonders begeistern. Für Shakespeares König Lear hatte Eminescu einst nur unter besonderen Anstrengungen im winterlichen Wien eine Eintrittskarte ergattern können. Und König Lear schien es ihm angetan zu haben, denn in seinem Gedicht Împărat şi proletar (Kaiser und Proletarier) lässt ihn Eminescu in Erscheinung treten:
Trecea cu barbă albă – pe fruntea-ntunecată,
Cununa cea de paie îi atîrna uscată –
Moşneagul rege Lear.
Weißbärtig – auf düstrer Stirne – im Vorüberschreiten
herabhing ihm die trockne Krone aus Stroh
dem greisen König Lear.
Es war ein gewagtes Unterfangen, mit Eminescu Komödien-Aufführungen beizuwohnen, denn er lachte auffallend laut, und dieses Lachen artete mitunter in ein aufsehenerregendes Grölen aus. Diesbezüglich schrieb Eminescus Freund und Weggefährte während seiner Wiener Studienzeit, der Schriftsteller Ioan Slavici, in seinen Erinnerungen (Amintiri):
[…]El rîdea mult şi cu lacrimi şi zgomots; îi era deci greu să asiste la comedii, căci rîsetele îi erau adeseori oarecum scandaloase[…][3]
[…]Er lachte viel, laut und mit Tränen; es war also schwer für ihn, Lustspielen beizuwohnen, weil sein Lachen häufig skandalös wirkte[…]
Hervorragende Burgmimen prägten in jenen Jahren die Wiener Theaterwelt, wie etwa der unvergessliche Hamlet Josef Wagner, der Bösewicht Josef Lewinsky, die alle überragende Tragödin Charlotte Wolter, der Komikerpapst Karl Meixner, die „göttliche“ Auguste (Wilbrandt-)Baudius, die angeblich mit den schönsten blauen Augen Wiens ihre Reize auszustrahlen und ihre Verehrer zu fesseln wusste, sowie Friederike Bognar, der die Wiener nachsagten, dass sie nicht „mit Worten“, sondern „mit Tränen“ gesprochen hätte. Eminescu wird ein Naheverhältnis zu Auguste Baudius und zu Friederike Bognar nachgesagt, ja nach-beneidet.
Vasile Gherasim hält fest, dass Eminescu wegen seines adonishaften Aussehens überall bewundert wurde. Warum sollte er also auch nicht begehrt worden sein – und das gerade von dieser oder jener Diva, denn „Eminescu era băiat frumos şi vorbea o limbă nemţească interesantă.“[4] (Der Dichter war hübsch und sprach ein sonderbares Deutsch.)
Der Dichter selbst sprach nie über derlei Angelegenheiten…
Nach Vasile Gherasim erhielt Eminescu von Zeit zu Zeit die Visitenkarte Friederike Bognars, auf der, in einer Ecke, der Empfangstermin in der Wohnung der Schauspielerin auf der Landstraße, im 3. Wiener Gemeindebezirk vermerkt war. Samoil Isopescu bemerkt in diesem Zusammenhang, dass der Dichter sich für solche Einladungen entsprechende Kleidungsstücke ausborgen musste, nicht weil er keine rechten Kleider besessen hätte, sondern weil man eben für solche Besuche einer eleganten Kleidung bedurfte.
In der Eminescu-Forschung wird von mannigfacher Seite die Behauptung aufgestellt, dass der Dichter während seiner Studienzeit in Wien das Leben „genossen“ hätte. Nun, wie weit er genüsslich daran Anteil genommen haben mochte, bleibe dahingestellt, denn direkte Quellen, auf die sich diese Behauptungen stützen könnten, stehen uns wohl nicht zur Verfügung; bloß lapidare Hinweise und Vermutungen deuten darauf hin, dass Eminescu wohl auch die lichten Seiten des Lebens – sagen wir vorsichtiger – über sich hatte ergehen lassen, die dunklen und misslichen – die Schattenseiten also – hatten ihn sowieso zur Genüge – und besonders auch in Wien heimgesucht. Auch Călinescu weist auf diese Lebensweise Eminescus in Wien hin und meint, dass seine spätere Erkrankung wohl als Auswuchs dieser Lebensweise zu betrachten sei.[5] In den folgenden Versen sollen annehmliche Erinnerungen an jene Zeit geweckt werden:
Cu murmurele ei blînde,
Cu isvorul harum horum
Ne primea în a ei brate
Alma mater philistrorum…
Cu murmure ca isvorul
Cujus, hujus, harum, horum
Ne primea-n a sale brate
Alma mater philistrorum…
Cu evlavie cumplita
Inghiteam pe regii lybici –
Unde sunt acele vremuri
Te intreb amice Chibici?[vi]
Mit dem Murmeln, sanft und zahm,
mit der Quelle harum, horum
in die Arme sie uns nahm
Alma Mater philistrorum…
Mit dem Murmeln einer Quelle
Cujus, hujus, harum, horum
in die Arme sie uns nahm
Alma mater philistrorum.
Ehrfurchtsvoll, mit Frömmigkeit
paukten wir Lybiens Geschichte;
wo, Freund Chibici, blieb die Zeit
frag’ ich dich? Sie ist zunichte.
In der Wiener Studienzeit des Dichters sollte sich eine überaus fruchtbare literarische und sozial-politische Tätigkeit entwickeln.
Aus Wien lieferte Eminescu der Budapester Zeitschrift Familia (18/30 im Jänner 1870) den Artikel Teatrul românesc şi repertoriul lui (Das rumänische Theater und sein Repertoire), der in der Ausgabe Nr. 18 vom 30. Jänner 1870 veröffentlicht wurde. Der Dichter nahm darin Stellung zum Wesen und zum Funktionieren des rumänischen Theaterlebens, wohl beseelt vom Theatergeschehen Wiens. Dabei schöpfte er aber auch aus seiner eigenen Erfahrung früherer Jahre, als er die rumänische Theaterwelt als Souffleur erleben konnte. In seinem Artikel plädierte er für die Schaffung eines rumänischen Theaters in Siebenbürgen und stellte diesbezüglich eine Vortragsreihe zusammen, die unter anderem folgende Einzelvorträge beinhaltete: 1. Der nationale Genius (Geniul naţional); 2. Im Sinne des Theaters (În favoarea teatrului); 3. Die Aussprache betreffend (Studiu asupra ponunciei); 4. Das rumänische Vaterland (Patria română); 5. Die Volksdichtung (Poezia populară).
In der Zeitschrift „Albina“ veröffentlichte Eminescu in den Nr. 7/19 und im Jänner 9/21 1870 den Beitrag „Eine kritische Schrift“.
Aufgrund der unter dem Pseudonym VARRO in der Zeitschrit „Liberaţiunea” in Pest veröffentlichten kritischen Beiträgen (wie z.B. am 5/7 aprilie 1870:,,Să facem un congres”, am 10/22 aprilie1870:,,În unire e tăria” und am 22.04/05.05-1870: ,,Echilibrul” ( Veranstalten wir einen Kongress, In der Einheit liegt die Stärke, das Gleichgewicht) geriet der Dichter ins Visier der Geheimpolizei der Doppelmonarchie, Zustand der bis zu seinem Lebensende aufrechterhalten blieb.
Eminescu setzte in Wien die bereits in seiner rumänischen Heimat begonnene Übersetzungsarbeit an Theodor Rötschers Werk Die Kunst der dramatischen Darstellung (Arta reprezentării dramatice) fort. Die Arbeit des Hegelianers Rötscher hatte den künstlerischen und ästhetischen Werdegang des Dichters wesentlich geformt und tiefgreifend geprägt. Der vollständige Titel der Arbeit lautet: Die Kunst der dramatischen Darstellung. In ihrem organischen Zusammenhange wissenschaftlich entwickelt. In Eminescus Übersetzung fehlt das Kapitel Die körperliche Beredtsamkeit (Elocvenţa corpului). Die Arbeit hat einen praktisch-angewandten Charakter.[vii]
Unter Eminescus zahlreichen aus dem Wiener Aufenthalt stammenden Aufzeichnungen fand man auch interessante Theaterprojekte, die jedoch nie einer Verwirklichung zugeführt werden konnten; so den Einakter Emmi – Amor pierdut – Viaţă pierdută, wobei Emmi als Bezug zum Namen des Dichters selbst verstanden werden könnte. Dieser Einakter fußt nach Aussagen des Dichters auf demselben Motiv wie Alecsandris Gedicht Emmi. Die Handlung führt uns in das Jahr 1855, und einer der Helden des Stückes ist Vasile Alecsandri höchstpersönlich. Außerdem unternahm Eminescu Dramatisierungsversuche der Gedichte Decebal und Înger şi demon; arbeitete an Projekten mit historischem Hintergrund, wie etwa Mihai cel Mare, Petru Rareş und Alexandru-vodă; letzteres ist eine dramatisierte Ballade mit zahlreichen Männer- und Frauen-Chören, die Bezug auf die Zeit Alexanders des Guten (Alexandru cel Bun) nimmt. Die Auseinandersetzung zwischen Alexandru und seiner Frau Ringala um die Rolle ihres Sohnes in dem Komplott gegen seinen Vater sollte im Mittelpunkt der Handlung stehen.
Als Eminescu im September 1871 vom Schriftsteller Ioan Pop-Florantin, der damals ebenfalls in Wien weilte, gefragt wurde, ob er, Eminescu, sich auch mit dramatischen Stoffen befasse („Dacă nu lucrează în dramă?“), soll der Dichter geantwortet haben, dass es dafür einer speziellen Begabung bedürfe („Pentru aceasta se cere talent spezial“).[viii] Bezüglich seiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Dramaturgie gesteht der Dichter in einem Brief (vom 11.02.1871) an Iacob Negruzzi:
[…]Port şi eu acum ceva: o dramă epică, din care însă n-am scris pînă acum nici un şir. Nu sînt încă în clar nici cu forma, nici cu fondul, nici cu părţile singulare, nici cu raportul în care acestea să stea. Însă tare-mi pare mie că va rămîne în veci nescrisă[…][ix]
[…]Ich trage etwas in mir: ein episches Drama, wobei ich aber noch keine einzige Zeile daran geschrieben habe. Ich bin mir hinsichtlich der Form, des Inhalts und selbst mit den Einzelheiten noch nicht im Klaren, auch nicht damit, in welchem Verhältnis diese miteinander zu stehen haben. Mir scheint, dass dieses Drama für ewige Zeiten ungeschrieben bleiben wird […]
Interessant sind auch seine beiden folkloristisch konzipierten Theaterstücke Împărăteasa und Cenuşotca – eine Art Aschenbrödel, das die Zeit Alexandru Lăpuşneanus hätte beleuchten sollen.
In Wien entfaltete der Dichter aber auch eine bedeutende Tätigkeit im Bereich der Lyrik. Aus Wien sandte er an Convorbiri Literare die Gedichte Venere şi Madonă und Epigonii. Ende Jänner 1871 gingen an dieselbe Redaktion Mortua est, Înger de Pază und Noaptea ab. Eminescu kehrte Anfang September 1872 in die Heimat zurück, und er trug weitere Früchte seines ertragreichen literarischen Schaffens in seinem Gepäck: die Novelle Sărmanul Dionis, Fragmente aus dem umfangreichen Poem Panorama Deşertăciunilor oder Memento Mori, ferner die Gedichte Înger şi Demon und Floarea Albastră. Ebenfalls in Wien war auch das Konzept für sein sozialkritisches Poem Împărat şi Proletar entstanden, dessen erster Teil den Titel Proletarul trug und sich mit der Niederschlagung der Pariser Kommune beschäftigte.
Bezugnehmend auf die räumlichen Gegebenheiten, in denen Eminescus Wien-Aufenthalt zu sehen ist, wurde eingangs bereits darauf hingewiesen, dass der Dichter die Lehrveranstaltungen im alten Universitätsgebäude (heute Sitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) am Dr. Ignaz-Seipel-Platz in der Inneren Stadt besucht hatte. Von der alten Universität gelangte man in südöstlicher Richtung, den Wien-Fluss überquerend, in den 3. Wiener Gemeindebezirk Landstraße. Eminescu mag wohl über die heute nicht mehr existierende Stubenbrücke oder über die Marxerbrücke seinen Weg in Richtung Adamsgasse, Gärtnergasse, Kollergasse u. a. gegangen sein, denn dort wohnte er zusammen mit anderen rumänischen Studenten. Gleich nach seiner Ankunft in Wien – wie eingangs erwähnt – war Eminescu jedoch im 9. Wiener Gemeindebezirk, in der Porzellangasse Nr. 9 abgestiegen. Eine Gedenkplatte, die im Mai 1951 von der Österreichisch-Rumänischen Gesellschaft gestiftet wurde, hatte darauf hingewiesen, dass Eminescu im Jahre 1869 hier gewohnt hat.
Im 3. Bezirk verbrachte er jedoch die meiste Zeit seines Wiener Aufenthaltes. So ist bekannt, dass der Dichter auch in der Radetzkystraße bzw. in der Dianagasse Nr. 8 zusammen mit Samoil Isopescu und Iancu Cocinski gewohnt hat. Stellvertretend für alle diese Adressen im 3. Wiener Gemeindebezirk hat der Rumänische Schriftstellerverband im Jahre 1965 an dem Haus Nr. 3 in der Kollergasse eine Gedenktafel mit folgender Inschrift angebracht:
In diesem Haus wohnte von April bis Oktober 1871 der große rumänische Dichter Mihai Eminescu. gezeichnet: Der Schriftstellerverband der Rumänischen Volksrepublik.
Im Herbst 1871 finden wir den Dichter im Hause Nr. 5 in der Schaumburggasse im 4. Wiener Gemeindebezirk Wieden. Im nächsten Frühjahr übersiedelte er abermals in den 3. Bezirk in die Gärtnergasse.
Der Winter des Jahres 1871/72 bedeutete für Eminescu eine harte Zeit: Der Dichter erkrankte schwer und lag drei Wochen danieder. Von seinen Kollegen – Medizinstudenten – gepflegt, erholte er sich erst im Februar 1872. Geldmangel und andere Erschwernisse brachten den Dichter in eine bedrängte Lage. Nun war er aber fest entschlossen, die Lehrveranstaltungen an der Universität wieder zu besuchen, und so inskribierte er abermals, nach einer Unterbrechung von über einem Jahr.
Der Wien-Aufenthalt hatte für das Seelenleben des Dichters vielleicht die entscheidende Wende, die weite Teile seines dichterischen Schaffens zu beflügeln vermocht hatte, herbeigeführt: die Begegnung mit seiner späteren Freundin auf Lebenszeit, mit Veronica Micle, selbst Dichterin und Frau des Professors Ştefan Micle, des Rektors der Universität Jassy.
Im Frühjahr 1872 war Veronica Micle in Begleitung ihres Gemahls zu einer ärztlichen Behandlung nach Wien gekommen. Um raschestens auf Eminescus Fährte zu gelangen, stieg sie in der Pension Löwenbach ab, wo der Dichter früher einige Zeit logiert hatte. In der Eminescu- bzw. Veronica-Micle-Literatur ist man sich hinsichtlich der ersten Begegnung der beiden uneins. Vieles scheint aber darauf hinzuweisen, dass ihre erste Begegnung in Wien stattgefunden haben könnte. So schreibt Veronica Micle in ihrem Brief vom 20. August 1879 an Eminescu:
[…]Cunoscîndu-te la Viena, modestia şi mai ales darul de a povesti vesele întîmplări din viaţa marilor gînditori m-a făcut să-ţi port respect. Şase luni, cît am stat în capitala austriacă, mi s-au părut şase zile. Îţi aduci aminte cînd te-am cunoscut pentru întîia oară la doamna Löwenbach, gazda mea[…][x]
[…]Als ich Dich in Wien kennenlernte, beeindruckten mich Deine Bescheidenheit und Deine Gabe, lustige Geschichten aus dem Leben der großen Denker zu erzählen, was mir dann auch Respekt eingeflößt hatte. Die sechs Monate, die ich in der österreichischen Hauptstadt verbracht hatte, kamen mir vor wie sechs Tage. Erinnerst Du Dich noch daran, als ich Dir bei Frau Löwenbach, meiner Gastgeberin, zum ersten Mal begegnet bin[…]
Es bleibt ungeklärt, ob Eminescu die Pension zufällig besucht und bei dieser Gelegenheit Veronica Micle kennengelernt hat oder ob der Dichter – im Falle der bereits bestehenden Bekanntschaft – die Pension gezielt aufgesucht hat, um Veronica Micle wiederzusehen. Es könnte auch sein, dass Veronica Micle den Dichter wiedersehen wollte, und schließlich gibt es noch die Möglichkeit, dass die Besitzerin der Pension, Frau Löwenbach, Veronica Micle den Dichter als Begleiter in der ihr, Veronica Micle, fremden Stadt empfohlen haben könnte.
Ştefan Micle schätzte Eminescu und war später dessen Vorgesetzter, als der Dichter Direktor der Zentralbibliothek in Jassy (1874) und Schulinspektor wurde. Eminescu wurde von Ştefan Micle in verschiedene Prüfungskommissionen berufen: so z. B. in die Kommission an der Normalschule Vasile Lupu – am 26. Dezember 1874 – (Vorsitzender war Samson Bodnărescu). In der Kommission, die dem Wettbewerb zur Besetzung der vakanten Posten im Lyzeum zu Botoşani vorstand, war Eminescu neben Ştefan Micle u. a. ebenfalls vertreten.
Ioan Slavici hält in seinen Amintiri (Erinnerungen) Folgendes fest:
[…]Aflasem încă de la alţii că [Eminescu, Anmerkung H. D.] i-a fost recomandat unei doamne de la Iaşi ca însoţitor la vizitarea oraşului[…][xi]
[…]Ich hatte schon von anderen erfahren, dass Eminescu einer Dame aus Jassy als Begleiter bei der Stadtbesichtigung empfohlen worden war[…]
Noch ehe Veronica Micle den Dichter persönlich kennengelernt hatte, dürfte sie ihn bereits schon irgendwo gesehen haben. Eminescus Gedichte waren ihr jedenfalls bekannt und selbst ein Photo des Dichters besaß sie bereits. So scheint es nicht verwunderlich zu sein, wenn Veronica Micle in ihrem Gedicht M-am gîndit… schreibt:
[…]M-am gîndit cu drag la tine pînă nu te-am cunoscut,
Te ştiam numai din nume, de nu te-aş mai fi ştiut
Şi-am dorit să pot o dată să te văd pe tine eu,
Să-ţi închin a mea viaţă, să te fac idolul meu[…].
[…]Gerne dachte ich an Dich, ehe ich Dich richtig kannte,
Deinen Namen wusste ich, wenn ich ihn doch niemals nannte.
Und ich wünschte inniglich, einmal nur möcht’ ich Dich sehen,
Will mein Leben schenken Dir, Dich als mein Idol anflehen[…]
Beide waren gleichaltrig und zählten 22 Jahre. Beide schrieben Gedichte, wenn auch auf verschiedenen geistigen Ebenen, und beide erfreuten sich des sie verbindenden Gefühls: der Liebe. Wie innig diese Beziehung heranreifen sollte, so schicksalhaft musste für Eminescu und für Veronica Micle das Leben und groteskerweise auch dasselbe Todesjahr – 1889 – für beide werden: Am 15. Juni verstarb Eminescu, am 3. August Veronica Micle.
Was damals in Wien an gegenseitiger Begeisterung begonnen hatte, sollte in ihrer Einmaligkeit in die Geschichte der rumänischen Literatur und darüber hinaus eingehen und wird wahrscheinlich über Zeiten noch unzählige Wissenschaftler und Forscher zu beschäftigen und zu begeistern wissen.
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Literatur:
Barbu, N.: Eminescu despre creaţia artistică. In: Iaşul literar, august 1956.
Boeriu, Ion: Eminescu şi realismul scenic. In: Iaşul literar, decembrie 1962.
Călinescu, George: Istoria literaturii române de la origini pînă în prezent. Bucureşti 1982 (Ed. II), p. 444.
Călinescu, George: Material documentar şi ştiri noi despre… M. Eminescu. In: Studii şi cercetări de istorie literară şi folclor, tomul I, nr. 1-4, 1952, pp. 104-105.
Călinescu, George: Viaţa lui Eminescu. 1938.
Călinescu, George: Cultura lui Eminescu. In: Studii şi cercetări de istorie literară şi folclor, tomul V, nr. 1-2, 1956, pp 243-377.
Căprariu, Alexandru: Eminescu, cronicar dramatic. In: Tribuna, Cluj, 9. august 1958.
Dama, Hans: Aspecte din activitatea studentului Eminescu la Viena. In: Unirea, Viena, Nr. 2 (22), 1989, p. 10-11.
Dama, Hans: Eminescus Studienjahre in Wien. In: Unirea, Viena, Nr. 2 (22), 1989, p. 16-17.
Dama, Hans: Eminescu, In: Internationalen Lenau-Gesellschaft, hrsg. von Viktor Suchy und Klaus Heydemann, Jg. 18, Folge 1-4, Stockerau, 1992, S. 147-159.
Dama, Hans; Peregrinările vieneze (Wiener Eanderungen). În: Contemporanul, anul XXXI Nr. 6 (819), Juni 2020, S. 36.
Gherasim, Vasile: Eminescu la Viena. In: Junimea literară, 1923, p. 374 şi urm.
Gîtza, Letiţia: Mihail Pascaly şi Eminescu. In: Studii şi cercetări de istoria artei, nr. 1-2, 1957.
Kakassy, Endre: Viaţa şi poezia lui Eminescu. E.P.L., 1962.
Laube, Heinrich: Schriften über Theater. Berlin, 1959.
Maniu, Adrian: Eminescu, autor dramatic. In: Viaţa literară, 20. octombrie 1928.
Peyfuss, M. Demeter: Eminescu la Viena. Consideraţii asupra tipologiei relaţiilor culturale. In: Eminescu în critica germană. Ed. Junimea Iaşi, 1985, pp. 229-235.
Pienescu, G.: Eminescu, traducător al lui Shakespeare. In: Steaua, Cluj, octombrie 1955.
Prinos întru aducerea aminte a poetului Mihai Eminescu la 75 ani de la moartea sa. Ed. îngrijită de Gh. Moisescu, Viena, 1964
Rotaru, Ion: Eminescu traducător al unei cărţi de teatru. In: Analele Universităţii Bucureşti. Seria Ştiinţe sociale-filologie, nr. 123, 1961.
Sanda, George: Veronica Micle. Bucureşti 1972.
Schreyvogl, Friedrich: Das Burgtheater. Wien-Darmstadt-Berlin, 1966.
Slavici, Ioan: Amintiri. SMD (Societatea de mîine). Bucureşti, 1924.
Vianu, Tudor: Eminescu şi Shakespeare. In: Literatura universală şi naţională, 1956, p. 213.
Wolkan, Ralf: Das Burgtheater in Wien. Wien-Budapest, 1926.
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Erklärungen / Endnoten:
[1] Slavici, Ioan: Amintiri. SMD (Societatea de mîine). Bucureşti 1924, S. 99. Die Übersetzungen aus dem Rumänischen bzw. die Übertragungen der Gedichte besorgte der Verfasser dieser Arbeit.
[2] Cǎlinescu, George: Istoria literaturii române de la origini pînǎ în prezent. 2. Auflage. Bucureşti, 1982, S. 444.
[3] Slavici, Ioan: Amintiri. S. 104-105.
[4] Gherasim, Vasile: Eminescu la Viena. In: Junimea Literară, 1923, S. 374ff.
[5] Călinescu, George: Istoria literaturii române. S. 444.
[6] Ebenda.
[7] Vgl. Rotaru, Ion: Eminescu, traducător al unei cărţi de teatru. (Eminescu, Übersetzer eines Buches über das Theater.) In: Analele Universităţii Bucureşti. Seria Ştiinţe sociale-filologie. 1961, Nr. 23, S. 147ff.
[8] Massoff, Ioan: Eminescu şi teatrul. Editura pentru literatură. Bucureşti, 1964, S. 210.
[9] Torouţiu, E.: Studii şi documente literare. Bd. III, S. 319-320.
[10] Sanda, George: Veronica Micle. Editura Cartea Românească. Bucureşti, 1972, S. 29.
[11] Slavici, Ioan: Amintiri. Editura pentru literatură. Bucureşti, 1967, S. 100.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Buc_Bust_Mihail_Eminescu.jpg