Müssen wir noch vertreten werden?

Von Robert Becker

Gleich am Anfang eine grundsätzliche Aussage: Ja, die parlamentarische Vertretung des Ungarndeutschtums ist – wie auch immer betrachtet – eine positive Errungenschaft, die hoffentlich wenigstens mittelfristig Bestand haben kann. Sie kann nicht nur dazu beitragen, dass Gelder für diverse Ideen, Programme, Anlässe, Ereignisse und Projekte flüssiger fließen, sondern – wenigstens halt theoretisch – auch dazu führen, dass man sich als Minderheit in diesem Land artikulieren kann – und man es überhaupt lernt, wie eine Selbstbehauptung aus der ungarndeutschen Basis in der Richtung der Gesetzgebung und des Spielfelds der politischen Macht möglich ist.

Denn das auf der gesellschaftlichen Palette Sichtbar-Werden wäre nicht alleine in dem Sinne wesentlich, um über sich nicht nur als „Minderheit” reden zu lassen, sondern überhaupt um als Gruppe, ja als eine Volks-Gruppe, in diesem Land noch einmal sich zu behaupten und wahrgenommen zu werden. Dazu wird es nicht ausreichen, wenn wir noch tiefere Wurzeln in Richtung unserer alten, oft nicht einmal näher definierten Traditionen und unseres einstigen historischen Glanzes schlagen, als wir alleine an unserer Tracht schon wenigstens auf den Märkten der Nachbarstädte aufgefallen und erkannt worden sind, sondern es wäre von einem besonderen Vorteil, wenn wir nicht alleine nur noch unter der Lupe fachkundiger Beobachter, aktualpolitischer Akteure oder verspäteten Ethnologen erscheinen.

Wenn über unsere Existenz gesellschaftlich gesehen nur so viel rüberkommt wie „Ach so, die die da so komisch herumsingen und an Festtagen auf Kulturhaus-Bühnen tanzen!” – dann haben wir nicht nur Chancen verspielt, sondern den Sprung in ein noch immer nicht ganz unmögliches, sichtbares Dasein in unserem Heimatland verfehlt, denn es ist gar nicht egal, wodurch wir nach den vergangenen Jahrhunderten mit diesem neuen Jahrtausend noch in Zusammenhang gebracht werden und auffallen.

Wir stellen nämlich nicht mehr ein in sich geschlossenes Milieu dar. Wie weit sind wir doch schon von einem Zustand entfernt, wo ganze Landstriche unter unserem tunlichen Mitwirken aufgeblüht sind und als wir gesellschaftlich und wirtschaftlich dadurch sichtbar und bekannt gewesen sind? Kein Wunder, dass die Politik von damals bald auf die Idee gekommen ist, uns einzuverleiben und durch erhöhten Druck zu versuchen, uns zu magyarisieren, damit wir viel weniger als eigenständige Akteure auffallen – besser gesagt, dass wir nicht mehr die Merkmale von einer eigenständig agierenden Volksgruppe aufweisen!

Wenn es auch als harte Formulierung erscheint, sind wir eigentlich in einen Reservaten-Status zurückgedrängt worden. Das hat hundertfünfzig bis zweihundert Jahre gebraucht, aber man muss sagen: Es hat geklappt! Uns ist auch dem eigenen Anspruch nach kaum mehr als das noch wichtig, eine schiefe Kopie dessen aufzuweisen, was unsere Ahnen unverfälscht als ihre eigene Kultur gelebt haben. Und zwar nicht in Vereinen und (Kultur-) Gruppen, sondern als Teil ihres Alltags – nicht einmal als unbedingter Mittelpunkt ihres Daseins als Volksgruppe in der Flut einer Mehrheit!

Wenn das kulturelle Erbe als eine Art eines recht verspätet adoptierten Wesensmerkmals gilt, das bald als einziges „Markenzeichen“ erscheint, so müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass das nur noch eine bemessene Zeit der Mode und der Gunst politischer Großzügigkeit sein wird, wie lange wir in dieser Richtung gefördert werden – wie lange sich so etwas rechtfertigen lässt. Andererseits besteht dann noch die Frage danach, ob Nachfolgegenerationen bereit sein werden mitzumachen, ohne je unsere Kultur in einer authentischen Form gesehen und erlebt zu haben – oder ob das Ganze eines Tages mit all den herangealterten Mitgliedern von selbst einschläft…

In meinem Gedankengang kreise ich um die Frage, was fähig ist, eine Volksgruppe in einer alle Bereiche dominierenden Mehrheit zu erhalten. Wenn man will, als Antwort mein „Steckenpferd“: die Sprache! Die Basis der Zusammengehörigkeit unter uns bildet alleine sie. Alles andere ist pure selbstdarstellende Show, ein Mittel zum Selbstzweck, irgendwie noch sichtbar zu erscheinen – für mich traurig, das so zu definieren.

Für das Vorhaben – die Sprache als identitätsbildenden Faktor zu revitalisieren, um uns als Gemeinschaft wiederzufinden – können wir uns alleine auf überzeugte Familien stützen, die die Mühe und die eventuellen Konsequenzen nicht scheuen, den Gebrauch der Sprache als Merkmal der Zugehörigkeit für sich hochzuhalten. Und zwar in einer Art und Weise, dass es gar keine Frage sein darf, welche Sprache wenigstens im Kreise der Familie im Mittelpunkt steht!

Ist dann die Sprache das vorherrschende Merkmal, so kann man auch in einer Zeit (wieder) ankommen, wo die Vertretungsfrage (wieder) eine relevante ist. Dann wird man zeitgemäße Antworten auf Fragen der Zeit finden und geben wollen. Dann wird die Leitung auf allen Ebenen die Ansprüche der Basis wahrnehmen und eine parlamentarische Vertretung entlang dieser Ansprüche lenken und politisch handeln lassen. Über unsere aktuelle Bildungssituation ganz zu schweigen: Denn so lange gerade Eltern, die ihre Kinder ungarndeutsche Schulen besuchen lassen, oft daran interessiert sind, in der Schule in deutscher Sprache unterrichtete Fächer auf ein mögliches Minimum zu begrenzen – in der Befürchtung, dabei im weiterführenden ungarischen Schulsystem Aufstiegschancen zu verpassen – sind wir gemessen an unserer zaghaften Entschlossenheit noch sehr weit von einem Ziel entfernt, uns selbst als eine Gemeinschaft zu erkennen, die eigene Interessen artikulieren kann und die ganz im Gegenteil zu dem Beispiel oben mit kräftigem Einsatz (sprachlich) geeignete Pädagogen vom Kindergarten bis in die Hochschulebene fordern würde.

Die als Titel dieses Beitrags formulierte Frage müsste meiner Meinung nach ganz anders gestellt werden, denn alleine eine (durch wen auch immer) gegebene Möglichkeit ist noch viel zu wenig, um als Minderheit glücklich zu werden. Das Schicksal unserer Volksgruppe liegt nämlich dann erst wieder in unserer eigenen Hand, wenn zeitgemäße Ziele nach den Ansprüchen einer aktiven Basis gesteckt werden, die dann von den Vertretern in den geeigneten Foren artikuliert werden. Die eigentliche Frage stellt sich anders: Ist dies noch möglich – gibt es darauf noch Anspruch, dafür noch Interesse und Einsatzwille in der ungarndeutschen Basis?

Bild: https://commons.m.wikimedia.org/wiki/File:Sitzung_des_General_Committee_on_Democracy,_Human_Rights_and_Humanitarian_Questions_der_Parlamentarischen_Versammlung_der_OSZE_im_Neuen_Saal.jpg

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!