Wir sind beim Slowakischunterricht gescheitert

Originaltitel des Artikels: Belebuktunk a szlovákoktatásba. Von Andrea Horváth Szomolai; erstmalig erschienen am 7. November 2021 auf dem slowakeimadjarischen Portal ma7.sk (gedruckt in Nummer 44/2021); Zweitverwendung mit freundlicher Genehmigung von Chefredakteurin Judit Molnár; deutsche Übersetzung: Armin Stein

„Straka kráka, vrana letí” – ich versuche, meiner siebenjährigen, „rein“ madjarischen Tochter das slowakische Gedicht einzutrichtern, das in der Schule als Hausaufgabe gestellt wurde. Die slowakische Nachbarin, die zu Besuch ist, sieht mich verwundert an. Sie fragt mich, warum ich das Kind mit slowakischen Sprachquetschern quäle, wenn es in der Konditorei kaum nach einem Eis auf Slowakisch verlangen kann. Warum bringen wir ihr nicht die Sachen bei, die sie weiterbringen?

Die Anmerkung meiner Nachbarin ist durchaus korrekt. Hunderte madjarische Familien im “Felvidék”, dem früheren Oberungarn und der heutigen Südslowakei, sitzen abends über den Slowakischhausaufgaben und wiederholen die Gedichte und archaischen Wörter, die sie in der Schule gelernt haben, und bringen ihren Kindern, die absolute Anfänger sind, „ten oblok”, „kolo, kolo mlynské, za štyri rýnske” bei. Und die Kinder verstehen nicht, warum sie Kauderwelsch lernen müssen, warum ihr Wissen nicht verwertbar ist. Bald entwickelt sich einen allumfassenden Hass auf das Slowakische. Ablehnung macht sich breit und die ständige Erfolglosigkeit führt zu Frustration. Im besten Fall sitzt das Kind gelangweilt im Slowakischunterricht, im schlimmsten Fall weint es vor lauter Leistungsdruck. Die Eltern werden sich immer sicherer, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, während die Lehrerschaft, als Gefangene eines schlechten Systems, sich völlig in der Nutzlosigkeit der Methodik und der sisyphushaften Suche nach guten Lösungen verliert.

Wir können uns die uralte Frage stellen: Warum können sich madjarische Kinder das Slowakische nicht gut aneignen?

Wir können das Problem politisch und gesellschaftlich auf allen Ebenen untersuchen, wir können den Ministerien die Schuld geben, das Problem bleibt aber: Die Mehrheit der ungarischen Schulen in der Südslowakei ist tatsächlich nicht in der Lage, Slowakisch gut zu unterrichten. Und die kompetenten Schafe bleiben still! Kann die Tatsache, dass das Parlament im Rahmen der Änderung des Gesetzes über das öffentliche Schulwesen beschlossen hat, dass Slowakisch als Fremdsprache in den Schulen der nationalen Minderheiten unterrichtet wird, daran etwas ändern? Die madjarische Lehrerschaft des „Felvidék“, der Südslowakei, bittet schon seit mehr als zwanzig Jahren darum und dennoch mischt sich jetzt Unmut unter die Euphorie.

Bringe ich mein Kind auf eine slowakische Schule?

„Man kann eine Fremdsprache nicht nach dem jetzt im Umlauf befindlichen Lehrbuch und den darauf basierenden Methoden unterrichten. Diese beruhen auf dem Prinzip des Frontalunterrichts: Mach, sag, zeichne mir etwas nach!“, sagt Tamás Takács, Linguist und Englischlehrer aus Mostová/Hidaskürt, Vater einer madjarischen Zweitklässlerin.
„Ich denke, dass die Grundlage des Sprachenlernens das Wort ist und dass man den Sechs- und Siebenjährigen Slowakisch durch Gedichte und literarische Archaismen mit Hilfe des aktuellen Lehrbuchs zu vermitteln versucht. Wenn die Wörter nicht in einen Kontext gestellt werden, wenn wir die Kontinuität des Sprachunterrichts nicht beachten, dann ist der ganze Sinn verloren. Es ist in erster Linie das System, das schuld ist, und der Lehrer wird vom System „gelenkt”. Wir Linguisten und Lehrer können diese Fehlfunktion erkennen, aber die „Durchschnittseltern” können das nicht wissen. Für diejenigen, die es nicht unterrichten, für diejenigen, die es nicht kennen, ist das Lehrbuch eine heilige Schrift. Die Eltern denken zu Recht, dass man die slowakische Sprache mit Hilfe des Lehrbuches erlernen könne, und wenn dies nicht gelingt, sagen sie zu Recht, dass sie ihr nächstes Kind lieber auf eine slowakische Schule bringen wollen, wo sie den Schlüssel zum erfolgreichen Slowakischunterricht sehen. Leider gibt es solche Erfahrungen“, erklärt der Vater, vom Beruf Linguist.

Die Lehrkräfte haben nichts in der Hand

Ilona Wittenberger unterrichtete viele Jahre lang Slowakisch an der Grundschule in Čierna Voda/Feketenyék. Das Problem bestehe darin, dass die Methodik und das Lehrbuch einen Grundwortschatz und Grundkenntnisse der slowakischen Sprache voraussetzten, die die Kinder – vor allem in den von so gut wie nur ungarischsprachig bewohnten Gebieten – nicht besäßen.

„Es ist positiv, dass Slowakisch als Fremdsprache unterrichtet werden kann, aber es gibt in diesem Land keine Slowakischlehrer, die wissen, wie man das realistisch angehen könnte. Es gibt keine Bücher, es gibt keine Methodik, es gibt nichts in den Händen der Lehrerschaft”, stellt sie fest.

Veränderungen sind nötig – auf allen Ebenen

„Es herrscht ein großes Chaos im Schulbuchsystem und bei den Anforderungen“, sagt Adri Bakos, Autorin der Lehrbuchreihe „Szlovákul játékosan”, denn derzeit wird der Lehrplan von nutzlosen „Konversationsthemen” und einem gänzlichen Fehlen eines sukzessiven Aufbaus von Grammatikstrukturen dominiert. Nach den Standards wird erwartet, dass Kinder ab der Primarschule in der Lage sein sollten, in längeren, zusammengesetzten Sätzen zu sprechen. Das ist Unsinn. Slowakisch ist viel komplexer als das.

Wenn wir uns von der Vorstellung verabschieden würden, dass Kinder in der Primarstufe immer konjugieren und „Konversationen führen” können müssen, könnten wir die Sprachkenntnisse auf wunderbare Weise aufbauen“, schlägt die Bildungsexpertin für Slowakisch vor.

Um Slowakisch als Fremdsprache unterrichten zu können, müssen wir die Anforderungen ändern. Denn solange die Anforderungen das Auswendiglernen von Syntax oder anderen grammatikalischen Disziplinen beinhalten, 90 % des Tests in der neunten Klasse besteht aus solchen Fragen, und solange die Lektüre slowakischer Originalwerke im Literaturunterricht obligatorisch ist, kann man nicht vom Fremdsprachenunterricht sprechen. Denn nach dem Europäischen Referenzrahmen hängt das Niveau der Sprachkenntnisse nicht im Geringsten von der Fähigkeit des Schülers ab, die Metapher in einem Gedicht zu erkennen und den Reim im Gedicht zu benennen.

„Nach der Änderung der Anforderungen werden neue Standards und neue Schulbücher benötigt und dann sollte das Konzept an die Lehrer weitergegeben werden. So wäre es zum Beispiel schon jetzt nicht verpflichtend, Kindern mehr als ein oder zwei Gedichte beizubringen. Doch viele Lehrerinnen und Lehrer ignorieren dies und vergeuden wertvolle Zeit für die Entwicklung echter Sprachkenntnisse, indem sie das sinnlose Memorieren von Gedichten verlangen. Und kann man es ihnen verdenken? Sie halten sich einfach an das, was im Lehrbuch steht, weil es das Einzige ist, woran sie sich festhalten können. Sie wissen nicht so recht, was sie mit Slowakisch als Fremdsprache anfangen sollen, denn eine solche Ausbildung gab es nie und gibt es auch heute nicht an den Hochschulen. Und wird es sie jetzt geben? Und wer wird sie unterrichten? Diejenigen, die die Pluralform des Genitivs in die Erstklässlerstandards aufgenommen haben? Oder die, die uns sagen, wie wichtig Archaismen beim Erlernen des Slowakischen für unsere madjarischen Kinder sind?“, fragt sich Adri Bakos und weist darauf hin, dass „der König immer noch nackt ist”.

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