Dr. Christoph Kopp über die neuentdeckte deutsche Identität
Ich komme nicht aus einer typisch donauschwäbischen Familie. Bei uns hat man zu Hause nicht mehr deutsch geredet, die Sprache ist mit den Großeltern/Urgroßeltern ins Grab gegangen. Von vielen Zeitgenossen habe ich dieselben Erfahrungen bezüglich ihrer Familien mitbekommen. Es gibt kaum reine deutschsprachige Lebensgemeinschaften mehr in Ungarn, Ausnahme bilden natürlich die Mischehen, wo die deutsche Identität vom Vater oder der Mutter weitergegeben wird. Die Vertreibung und die 40 Jahre Sozialismus in Ungarn haben ihre Wirkungen nicht verfehlt und die Jugendlichen entdecken jetzt neu ihre deutsche bzw. donauschwäbische Identität, welche eng mit der Sprache verbunden ist oder sein sollte.
In den Grundschulen kann man vielerorts auf Deutsch und auch zweisprachig lernen, im Gymnasium ebenso und es gibt eine Reihe von Möglichkeiten von Hochschulen und Universitäten, wo man deutsche Kurse/Seminare besuchen kann. Dies wird sowohl vom ungarischen wie auch vom deutschen Staat unterstützt. Die deutsche Sprache und der deutschsprachige Raum (Österreich, Deutschland, Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, teilweise auch Frankreich) haben einen exzellenten wirtschaftlichen Ruf, welchen man aber von der donauschwäbischen Identität unterscheiden muss.
Ich will zum Beispiel, dass meine zwei kleinen Söhne einmal eine deutsch- oder zweisprachige (ungarisch-deutsch) Schule besuchen. Dies ist aber eng mit unserer Abstammung verbunden, deswegen habe ich einst auch eine Schule besucht (Budapest, 22. Bezirk, Budafok/Promontor), wo die erste Fremdsprache Deutsch war, nachher das Gymnasium im demselben Bezirk – wiederum Deutsch die Fremdsprache und später Englisch. Das Idiom meiner Ahnen hat mich durch das ganze Studium begleitet: an der Corvinus-Universität über Wahlfächer und Blockseminare, ein Auslandssemester in Jena, Thüringen. Ich habe damit bei der Arbeit auch nicht aufgehört: Von den 15 Jahren meiner bisherigen Berufstätigkeit habe ich zwölf bei deutschen bzw. österreichischen Firmen verbracht.
Die Identität wurde durch die Familienforschung – mein Hobby seit vielen Jahren – gestärkt, als es sich herausstellte, dass nicht nur meine Ahnen väterlicherseits Schwaben (aus Jeine/Budajenő, Komitat Pest) waren, sondern teilweise auch mütterlicherseits (aus Oberwischau/Felsővisó, Komitat Marmarosch/Máramaros, heute Rumänien). Wir haben regelmäßig Kontakt zu den Verwandten (Cousinen zweiten und dritten Grades), deren Vorfahren in den Jahren 1946-47 in die BRD vertrieben wurden.
Meiner Meinung nach ist der größte Selbstbewusstseinsträger die Sprache. Deswegen pflege ich auch das deutsche Idiom und möchte es an meine Kinder weitergeben. Meine Frau stammt auch aus einer – teilweise – deutsch(sprachig)en Familie (aus Nadasch/Mecseknádasd, Komitat Branau). Für uns ist und wird es immer wichtig sein, diese Identität neben unserer ungarischen zu pflegen. Auf meinem sogenannten „Bucket List” steht noch, den alten Jeinaer (alt-bairischen) Dialekt zu erlernen. Leider ist aber die Generation, die ihn beherrschte, in Deutschland wie im Heimatdorf, verschwunden; die Schriftsprache war da – wie in fast allen schwäbischen Dörfern Ungarns – das Hochdeutsche.