Der schweigende Vorsitzende

Von Richard Guth

Jetzt werden wieder diejenigen mir ins Gesicht springen, die der Ansicht sind, dass ich die Dinge beim Namen nennen sollte. Ich werde aber wieder entgegnen, dass ich hier auf Phänomene hinweisen und nicht einzelne Personen ins schlechte Licht rücken möchte, die ja bekanntlich auch nur Menschen sind, die heute und da – eingebunden in Strukturen –  handeln und sicher versuchen, ihr Bestes zu tun.

Stellen wir uns den Vorsitzenden einer deutschen Nationalitätenselbstverwaltung vor, der sich viel vorgenommen hat und vieles bewegen möchte. Er berichtet einem Pressevertreter – in diesem Falle mir – gegenüber über Pläne, die in der nahen Zukunft umgesetzt werden sollten, – eigentlich über freudige Nachrichten, die uns alle betreffen – jedenfalls auf der Ebene eines positiven Vorbildes für jene, die noch nicht so weit sind. Das Gespräch, auf Ungarisch,  wobei ich selber nicht zu Deutsch als Sprache der Kommunikation gedrängt habe (sondern der nackten Realität entsprechend beide angeboten habe), verläuft auf Augenhöhe und man würde es als äußerst angenehm beschreiben. Man vereinbart, sich in anderthalb Monaten über das in Aussicht gestellte Großprojekt der Selbstverwaltung auszutauschen.

Anderthalb Monate später geht eine Kurzmitteilung raus. Keine Reaktion! Anruf! Keiner geht ran. Man wartet wieder einige Wochen, man will ja nicht aufdringlich sein  gerade in Corona-Zeiten, die ja unseren Alltag ganz schön umgekrempelt haben.

Wenige Wochen später ein erneuter Anlauf, diesmal über E-Mail! Vergebens! Man wird dennoch fündig, denn es folgt in einem anderen Presseorgan der Bericht über das Großprojekt. Irgendwie schön zu lesen, denn es ist wirklich erfreulich, was im Artikel steht,  jedenfalls auf der Oberfläche, aber jeder verdient eine Chance. Die Hoffnung, dass man doch seine Chance bekommt, stirbt bekanntermaßen zuletzt.

Nochmal Wochen des Wartens! Jetzt der Versuch über eine gemeinsame Bekannte und gleichzeitig über die Facebook-Seite der Selbstverwaltung! Dank Messenger-Dienste sieht man, dass die Nachricht auch angekommen ist und gelesen wurde. Ob auch wahrgenommen, das steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht gar nicht! Eine Antwort erhalte ich auf die Anfrage immer noch nicht.

Gedanken auf Gedanken – man versucht den Fehler bei sich zu suchen. Nicht die richtige Ansprache gewählt? Doch zu aufdringlich gewesen? Oder liegt es doch an was anderem? Gerade in diesem unseren – politisch gesehen – Grabenkämpfeland, denn wehe, wenn man nicht auf derselben Seite steht! Auch wenn nur privat, was ja jedem sein gutes Recht ist oder sein sollte! Wir beim Sonntagsblatt versuchen eigentlich das Unmögliche, nämlich unterschiedlichen Meinungen eine Plattform zu bieten, fernab der Parteipolitik (auch das ist in durchpolitisierter Öffentlichkeit und durchpolitisiertem Pressewesen ganz schön schwierig).

Die Frage bleibt dennoch, bei all den Spekulationen: Warum schweigt der Vorsitzende? Sollte es normal sein, dass er schweigt? Wo bleibt die Rückkoppelung zum Wahlvolk, in diesem Falle über die Presse als Plattform?! Diese Fragen kratzen ganz schön am Grundsätzlichen des Selbstverwaltungswesens der hiesigen Nationalitäten. Und weiter: Ist denn das 1995 proklamierte Ziel sich selbst zu verwalten und autonom zu sein überhaupt umgesetzt worden? Haben wir die materielle, personelle und geistige Unabhängigkeit in einem durch und durch zentralisierten Gemeinwesen, wo der Staat den Großteil der Mittel zur Verfügung stellt, um uns selbst zu verwalten? Geld scheint vorhanden zu sein (ob für große Sprünge, bleibt dahingestellt), Institutionen in immer größerer Zahl auch, – aber sind wir, Deutsche in Ungarn dadurch von Gewicht? Oder gar in der Lage, selbstbestimmt zu agieren? Dann: Wie sollte sich eine deutsche Selbstverwaltung definieren? Als bloße Programmorganisatorin, Verwalterin von Schulen oder wahre Interessensvertreterin? Zumal im Besitz eines eigenen, wenngleich ziemlich eigenwillig erscheinenden Abgeordneten im Hohen Haus? Was, wenn dabei das nötige Gewicht fehlt? Wenn man als Angehöriger der Minderheit das Gefühl hat, nicht mitgenommen zu werden?! Oder als Presse(hobby)vertreter außen vor gelassen zu werden? Wie definiert sich eine/die ungarndeutsche Öffentlichkeit? Und vor allem: Wann bricht der Vorsitzende endlich sein Schweigen?

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