Doch der deutschen Sprache den Vortritt lassen, oder?

Über Realitäten, Komfortzone und die wahre Aufgabe unsereiner

Von Richard Guth

In letzter Zeit erreichten mich Impulse, an denen Unseraans nicht so einfach vorbeigehen kann. Es geht wieder mal um das leidige Thema Sprachgebrauch. Manche Stimmen würden wieder sagen: „Du sollst die Dinge bei Namen (im wortwörtlichen Sinne) nennen, sonst verpufft die Wirkung und alles bleibt beim Alten!” Letzteres mag stimmen, aber trotzdem sage ich: Nein! Nein, weil es sich bei den Betroffenen nachweislich um überzeugte Ungarndeutsche geht, die sich für die Sache einsetzen! Andererseits geht es um Phänomene, die allgegenwärtig sind – die vorhin Genannten bloßzustellen wäre nicht nur fachlich unprofessionell (man möge auch die andere Seite zu Wort kommen lassen, was in diesem unserem Grabenkämpfe-Lande so oft außer Acht gelassen wird), sondern auch unfair ihnen gegenüber. Und die Chance auf (Selbst-)Wiedererkennung ist ohnehin groß, sollen die Betroffenen diese Zeilen lesen.

In dem einen Fall ging es eigentlich um eine Diskussion, die ich schon einige Male geführt habe, mit Vertretern unserer Volksgruppe und die die zwischenmenschliche Kommunikation betrifft: nämlich, in welcher Sprache man versuchen soll Aktive unserer Volksgruppe in Organisationen, Vereinen und sonstigen Einrichtungen anzusprechen. Macht man es einsprachig deutsch? Würde ich sagen, schwierig! Macht man es einsprachig ungarisch? Wo bleibt dann unsere Vorbildfunktion? Aber ich will doch nur, dass die Leute auch reagieren, so die Erklärung des Vertreters der Volksgruppe und beruft sich auf langjährige Erfahrungswerte – mag stimmen, vor dem Hintergrund der Sprachpraxis im Kreise unserer Gemeinschaft. Anbieten würde sich die Zweisprachigkeit – so kann/könnte sich keiner beschweren, die Botschaft nicht zu verstehen. Vor dem Hintergrund des Gedankens des lebenslangen Lernens (ganze EU-Bildungsprojekte sind darauf angelegt) eigentlich ein Unding, denn es ist ja nie zu spät, die Sprache der Ahnen zu lernen! Aber dann wieder diese verdammte Komfortzone und die tausenden kleinen Dinge, die einem im Alltag begegnen und keinen Raum dafür bieten! Ich habe für alles Verständnis, klar, aber trotzdem! Die Komfortzone müsste auch derjenige verlassen, der diese Botschaften verschickt. Viel Aufwand, stimmt, aber gleichzeitig ein Lernprozess, den man anstößt! Dabei kommt mir die Aussage einer Ex-Funktionärin der Minderheit in den Sinn, als es um die Sprache der Liturgie, deutsch-ungarisch, ging, denn der Pfarrer verfuhr so, warum auch immer, dass er einen Teil der Liturgie auf Deutsch vorlas (oder versuchte es jedenfalls) und dann ins Ungarische wechselte (Predigt natürlich auf Ungarisch). Zuvor hatte die Gemeinde einen deutschsprachigen Priester. „Die Leute werden sich dran gewöhnen, denn nichts ist mächtiger als die Gewohnheit”, so die Aussage der langjährigen Vertreterin. Und in der Tat, die Leute gewöhnten sich an diesen „gemischten Salat”. So könnte es auch im Falle der E-Mail-Korrespondenz sein, ohne zu behaupten, dass dies automatisch zu einer Wiedergeburt des deutschen Sprachgebrauchs führen würde. Aber wir sollten uns nicht weiter zu billig verkaufen, sagte einst auch unser Autor Georg Sawa.

Der Anspruch als Flaggschiff des deutschen Sprachgebrauchs in der Öffentlichkeit zu sein, wirkt nur dann authentisch, wenn man mit bestem Beispiel vorangeht. Das ist aber leider Gottes auch im Falle von deutschen Muttersprachlern nicht immer der Fall, wie ich jüngst in einer Gesprächsrunde beobachten konnte, wo man ins Ungarische wechselte, obwohl beide Gesprächspartner der deutschen Sprache auf hohem Niveau mächtig sind. Zufall, Komfortgefühl, Gewohnheit? Wer weiß? Sprachgebrauch verlangt aber einiges ab von Menschen, die man in der Öffentlichkeit als Multiplikatoren wahrnimmt – oder die auch vorgeben, dafür einzustehen. Eine Verantwortung, der man sich stets bewusst werden soll!

Der dritte Fall ist eigentlich nur deshalb interessant, weil sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt, was für uns, frei nach Donald Johann Trump, an erster Stelle stehen soll (er pflegte in diesem Kontext den Begriff „first”, also zuerst, zu benutzen). Ist das Deutsch oder Ungarisch, wenn ich zum Beispiel in Form einer durchaus ansehnlichen Heimseite (Homepage) in die Öffentlichkeit trete? Müsste eigentlich nicht die deutsche Version zuerst da sein und dann erst die ungarische?! Warum denken wir aber – oder viele von uns, dass es andersrum „natürlicher” wäre? Hat das damit zu tun, dass im Kreise der unter 40-Jährigen die Muttersprache zu 80% (wenn nicht mehr Prozent) das Ungarische ist? Und?, würde ich entgegen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang einen Blick auf die madjarischen Gemeinschaften in den Nachbarländern zu werfen – ich glaube dabei kaum, dass dort zuerst die slowakische oder rumänische Version der Internetseite ins Netz geht, sondern eher beide gleichzeitig. Da kommen um den Fortbestand der genannten Minderheitengemeinschaften besorgten Zeitgenossen aber immer gerne mit dem Hinweis, es sei eine ganz andere Entwicklung gewesen und die Madjaren in den Nachbarländern seien ursprünglich Ungarn gewesen und wir nie Deutsche. Ein netter Versuch der Vernebelung, denn eines muss uns bewusst werden: Wir bestimmen darüber, wie Ungarndeutsch mit Inhalt gefüllt wird. Selbst die großzügigste – oder wie man es in Ungarn sagt: mustergültigste – Minderheitenregelung vermag es nicht, Sprache, Identität, Kultur und Brauchtum der Volksgruppe zu bewahren, zu fördern oder was auch immer, wenn deren Mitglieder nicht gewillt sind, diese Rechte zu nutzen, was durchaus bedeuten kann, dass man über seinen Schatten springt oder, wie es Patrik Schwarcz-Kiefer treffend formulierte, seine Komfortzone verlässt.

„A megszokás nagy úr“, sagt man im Ungarischen, also „nichts ist mächtiger als die Gewohnheit“, ein Spruch, den man dem römischen Epiker Ovid zuschreibt, also eine ziemlich alte Binsenweisheit. Das Schöne ist dennoch, dass der Mensch jederzeit fähig ist, sich zu verändern. Man muss nur die Gelegenheit ergreifen. Daher: Nur zu!

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