Von Dr. Jenő Kaltenbach
Ich kam im Jahre 1947 in einem rein ungarndeutschen Dorf auf die Welt. Gerade zu jener Zeit, als einer der abscheulichsten Hetzkampagnen gegen die Ungarndeutschen, die „Schwaben“ vom Zaun gelassen wurde. Es endete damit, dass hunderttausende in Viehwagons gepfercht wurden, genauso wie die ungarischen Juden einige Jahre zuvor. Die ungarischen Meinungsmacher wiesen die Verantwortung dafür weit von sich, machten dafür andere verantwortlich, für die erste Tat die Alliierten und für die zweite die Deutschen.
Darüber wusste ich damals und auch später natürlich nichts. Jahre danach, als ich älter wurde, meine Familie in ein vorwiegend madjarisches Dorf zog und schon lesen konnte, las ich auf dem großen Holztor der örtlichen Feuerwehr die Aufschrift „Raus mit den Schwaben“, was ich anfangs nicht so richtig verstanden habe.
Dann wurde mir langsam klar, dass auch ich durchaus gemeint war, sehr viel damit zu tun habe, und es ist überhaupt nicht gut. Im Kino und auch anderswo habe ich das Wort Deutsch immer nur im negativen Kontext gehört, gesehen. Nicht nur bezüglich Hitler und des Dritten Reichs, sondern auch allgemein.
Mein erster pubertärer Gedanke war, dass ich diese Last unbedingt loswerden muss. Sagte auch zu Hause, wir sollten einfach unseren Namen, der unsere Identität verrät, ändern, aber die traurig gewordenen Augen meiner Mutter haben mich sofort umgestimmt, so blieb ich, was ich eigentlich war.
Meine Identität blieb eine Weile vage, irgendwie dazwischen. Ich fühlte mich weder der einen noch der anderen Gruppe zugehörig. Mein Deutschtum breitete sich in mir dann langsam aus, erstmal vorwiegend nach innen, nicht nach außen.
In einem Land wie Ungarn, in dem trotz einem durchaus lebendigen multietnischen Charakter (oder gerade deswegen) eine zwanghafte Homogenisierung Staatsziel war, war eine mehrfache oder eine Abweichung von der offiziellen Identität uninterpretierbar, ja es konnte sogar als Landesverrat qualifiziert werden.
Das Ganze wurde nach der politischen Wende etwas gelockert, also wurde es für viele (wenn auch nicht für die Mehrheit) denkbar, dass die ethnische Identität nicht unbedingt mit der Staatsbürgerschaft deckungsgleich sein muss. Damit endete meine Reise zu meiner deutschen Identität, ich bin endgültig angekommen. Horribile dictu einigen dämmerte sogar, dass die ungarische Geschichte voll von Helden, die Wissenschaft, die Literatur, die Kunst voll von großen Persönlichkeiten (darunter zahlreichen Deutschen) ist, deren Vorfahren nie in der Nähe des Verecke-Passes gewesen sind. Damals dachte ich, gemeinsam mit vielen, dass dies eine langfristige Veränderung wird. Dass die die Auferstehung der fast völlig verschwundenen deutschen Gemeinschaft in Ungarn darstellt und dass sie sich wieder frei entfalten kann. Was heißt wieder, endlich ist der bessere Ausdruck. Ich war voll dabei voller Hoffnungen und Tatendrang…
Seitdem hat sich aber leider einiges getan: Die heutigen Ereignisse betrachtend, wo wieder tagtäglich die niederträchtigsten rassistischen Taten passieren, begangen nicht nur von denen, die Vorortkneipen bevölkern, sondern auch von Politikern und „Intellektuellen“, dann verliert man leicht die Hoffnung darin, dass man nicht wieder in den moralischen Abgrund abrutscht.
Mir scheint, dass mittlerweile auch die so hoffnungsvoll gestartete deutsche Gemeinschaft auf Linie gebracht wurde. Politisch entweder schön neutral oder durchaus regierungstreu.
Das ist der momentane Stand der Dinge. Nun ja, es war ja nie leicht in Ungarn Deutscher zu sein.