Von Armin Stein
Die Rubrik „Filmkritik“ des Sonntagsblattes widmet sich der Aufgabe die Aufmerksamkeit auf Filme und Dokus zu lenken, welche von den Ungarndeutschen oder den deutschen Minderheiten Ostmitteleuropas handeln.
In dieser Ausgabe der Rubrik widme ich mich der Aufgabe über den Film „Sprechen Sie Karpatendeutsch?“ von Regisseurin Anna Grusková zu schreiben. Der Dokumentarfilm erzählt die Geschichte und Gegenwart der Karpatendeutschen und lässt zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen.
Konvergenz der Schicksale
Der Film zeigt uns Bruchstücke aus der langen und ereignisreichen Historie der Karpatendeutschen. Jedoch fielen mir mit der Zeit viele Parallelen und Ähnlichkeiten zu der Geschichte der Ungarndeutschen auf. Die Geschichte der Karpatendeutschen hat andere Wurzeln als die der Donauschwaben, statt Türkenkriege war der Ursprung ihrer Siedlung in den Karpaten die Verwüstung der mongolischen Horden und die Wiederaufbauversuche des Arpadenkönigs Adalbert IV. Auch die Tätigkeitsfelder der Volksgruppen unterschieden sich, während nach den Türkenkriegen überwiegend Bauern ins Karpatenbecken zogen, so waren die Karpatendeutschen überwiegend Bergleute und Handwerker. Doch wenn man dem roten Faden der Geschichte folgt, kann man allmählich eine Konvergenz im Schicksal der beiden Volksgruppen feststellen. Beide Bevölkerungsgruppen waren dem Druck der Magyarisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgesetzt, auch wenn dieser im Fall der Karpatendeutschen nach 1919 einem milderen „Slowakisierungsdruck“ wich. Der Nationalsozialismus spaltete beide Gesellschaften und führte zum Tod von unzähligen Mitgliedern der beiden Volksgruppen. Auch die Folgen der Niederlage waren vergleichbar, Enteignungen, Internierung und Vertreibung für einen bedeutenden Teil der jeweiligen Volksgruppe. Schließlich muss man auch die kommunistische Ära betrachten, welche zum Sprach- und Identitätsverlust der Volksgruppe beigetragen hat.
Endgültig wird die Ähnlichkeit der Schicksale der beiden Volksgruppen jedoch erst in der Gegenwart. Deutsche Namen, Tänze und bestenfalls Lieder erinnern noch an die traditionelle Lebensart beider Volksgruppen. Auch die Dichotomie, die man in Ungarn beobachten kann, ist präsent: Ein Großteil der Deutschstämmigen spricht nicht mehr Deutsch, während ein kleiner Teil der Volksgruppe die Sprache noch spricht, aber genau aufgrund dieser Sprachkenntnisse seine Heimatorte für ein besseres Leben verlässt, seien dies lediglich Budapest, Kaschau oder Pressburg, oder gar Wien und die Bundesrepublik. Diese Dichotomie wird auch vom Film sehr gut wiedergegeben, denn weder die Deutsch- noch die Dialektkenntnisse der Befragten sind gleich. Mir hat sich während der Betrachtung des Films die Frage gestellt, wie es sich denn mit den Bildungseinrichtungen der Nationalität verhält, oder ob die Familie den einzigen Weg zum Spracherwerb darstellt, dazu wurde jedoch leider kaum etwas gesagt.
Wie erkennt man einen “Mantaken“?
Bereits am Anfang des Filmes taucht der Begriff „Mantakisch“ öfters auf, und als Zuschauer stellt sich einem sofort die Frage, was dieses Wort denn bedeuten soll. Da die Herkunft dieses Begriffs so viel über die Situation der Karpatendeutschen erzählt, möchte ich die Erklärung gleich vorwegnehmen. Mantakisch wird der deutsche Dialekt in der Kleinstadt Metzenseifen genannt, welches seit mehreren hundert Jahren für ihre Schmiedekunst bekannt ist, und heute eines der Zentren der Karpatendeutschen ist. Auch der Ursprung des Namens „Mantakisch“ hat viel mit dem berühmten Gewerbe der Stadt zu tun:
“Die Herkunft des Wortes ist umstritten, historische Quellen und Überlieferungen widersprechen sich. Am wahrscheinlichsten wird das Entstehen des Begriffes aus der Frage „Bo:s ma:nt-a” (was meint er?) zu sein. Beim Handel auf den ungarischen Märkten mussten die vom Hammergeräusch oft schwerhörigen Metzenseifner Schmiede nachfragen. Die Ungarn nannten dann diese Fragesteller einfach Mantaken. Möglich ist auch das Entstehen des Wortes aus dem Ungarischen „mit mondtak” (was haben Sie gesagt?) oder aus dem lateinischen Wort „montana” (Gebirge). Von: https://mantakisch.de/index.php?page=1”
Heute wird Mantakisch meist von der älteren Generation gesprochen, die Jugend spricht Slowakisch und Hochdeutsch, auch wenn man konstatieren kann, dass die mantakische Identität der Stadt doch stark ausgeprägt zu sein scheint. Zwar ist dies der am besten erhaltene und aufgearbeitete, aber nicht der einzige, karpatendeutsche Dialekt. Weitere Dialekte, wie zum Beispiel Buleinerisch, sind zwar schon fast völlig ausgestorben, dennoch ist es auch wichtig dieser Vielfalt der karpatendeutschen Dialekte zu gedenken. Der Ursprung dieser Vielfalt liegt in der Existenz verschiedener Sprachinseln, die sich aus der Siedlungsgeschichte der Deutschen dieser Region ergeben haben, mit ihren drei Zentren um Pressburg, im Hauerland und der Zips.
Komplex und doch vertraut
Es ist schwer „Sprechen Sie Karpatendeutsch?“ in eine filmische Kategorie einzuordnen. Der Film verfügt über Elemente einer historischen Dokumentation, er enthält Mosaiken aus dem Leben verschiedener Karpatendeutschen und behandelt auch mehrere Zeitzeugenberichte. Die Dokumentation weckt beim Zuschauer das Gefühl eines Schnellkurses in der Essenz des Karpatendeutschtums, ohne dabei sonderlich revolutionär oder fokussiert zu sein. Der Wert, den der Zuschauer für sich durch das Ansehen dieses Filmes gewinnen kann, sind die vielen kleinen Fakten oder besser gesagt Facetten, die das Leben als Volksgruppe in den Karpaten als ähnlich, familiär, aber doch in vielen als unterschiedlich von der ungarndeutschen Erinnerungskultur darstellen.
Schließlich stellt sich die Frage, wem ich diesen Film denn empfehlen kann. Sehenswert ist dieser Dokumentarfilm für jene, die sich für die verschiedenen Nuancen zwischen den einzelnen deutschen Volksgruppen des Karpatenbeckens interessieren, für alle, die einen Einführungskurs in Sprache, Vergangenheit, Kultur und Gegenwart der Karpatendeutschen erhalten wollen und schließlich für jeden, der sich auf eine Spurensuche nach den aussterbenden Dialekten der Karpatendeutschen machen möchte.
Anmerkung
In den meisten Fällen stelle ich Filme vor, welche digital frei zugänglich sind. In diesem Fall musste ich jedoch leider eine Ausnahme machen, da der Dokumentarfilm nur als DVD zur Verfügung stand (bei Interesse Kontaktdaten des slowakischen Filmverleihs erhältlich über die Redaktion). Um den Artikel dennoch mit etwas bewegtem Bildmaterial zu ergänzen, habe ich mir diverse Youtube -Videos, die das Thema „Karpatendeutsche“ behandeln, ausgesucht:
Historisches Bildmaterial:
https://www.youtube.com/watch?v=if4Oa6v5D5o
https://www.youtube.com/watch?v=q6DPcsvFDcY
https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=iZ5kZeaa2Hs
https://www.youtube.com/watch?v=tXq_wniMAL8
Tonmaterial des Zipser-Dialekts:
https://www.youtube.com/watch?v=itdBLyLCiU0
Interviews mit Zeitzeugen:
https://www.youtube.com/watch?v=NuQFWpU_5Z4
https://www.youtube.com/watch?v=uWUZtvUZld0
https://www.youtube.com/watch?v=jnPgF1eBrNA
Karpatenfunk-Podcast zum Mantakischen: