Von Richard Guth
Dieser Artikel ist eigentlich dem Zufall geschuldet – einem Beitrag der Internationalen Medienhilfe, den ein Landsmann auf Facebook geteilt hat. Dem Bericht nach leben 5 Millionen Deutschstämmige in Brasilien, unter ihnen 1,5 Millionen Muttersprachler. In vielen südlichen Bundesstaaten machen Deutschbrasilianer 50% der Bevölkerung aus. Trotz Einschränkungen für den Deutschunterricht und die deutschsprachigen Medien sei die deutsche Kultur lebendig. Dies zeigten 30 „Publikationen” (wohl gedruckte Zeitschriften gemeint) und 20 Radioprogramme in deutscher Sprache. Zwei Orte werden im Beitrag genannt, Entre Rios und Blumenau, wo die deutsche bzw. deutschstämmige Gemeinschaft noch sehr aktiv sei. Entre Rios? Der Ort kam mir bekannt vor: 1995 Welttreffen der Donauschwaben, wo die Deutsche Gemeinschaft aus dieser Gegend auch dabei war. Damals hatten die JBG und allen voran Georg Krix maßgeblich beim Zustandekommen dieses Großereignisses mitgewirkt.
Eine interessante Konversation entwickelte sich zu dem (oben genannten) Beitrag der Internationalen Medienhilfe. Auch eine Deutschbrasilianerin meldete sich zu Wort. Einer unserer Landsleute monierte, dass im („neuen”) Sonntagsblatt in jüngster Zeit eben solche Beiträge fehlen würden. Das war Ansporn genug für mich, Kontakt mit der deutschbrasilianischen Kommentatorin aufzunehmen.
Erst einmal wollte ich ein wenig mehr über den Ort erfahren, in dem die ältere Dame lebt: Blumenau. Nach ihren Angaben wurde der Ort im Bundesstaat Santa Catarina von Dr. Otto Blumenau, Apotheker von Beruf, gegründet. Mit ihm seien „Deutsche gekommen und die neuen Bewohner haben eine schöne Stadt aufgebaut.” Zur gleichen Zeit kam auch Johann Friedrich Theodor (Fritz) Müller, der sich als Naturforscher einen Namen gemacht hat. Die Region um Blumenau sei heute vor allem industriell geprägt, dabei würden die Textilindustrie und die Informationstechnologie als Zweige hervorstechen.
Meine Interviewpartnerin selbst ist Russlanddeutsche. Ihre Vorfahren kamen aus Wolhynien und der Wolgaregion. Die Familie des Vaters wanderte aus der Wolgaregion 1878 nach Argentinien aus, wo er seine aus Nemmersdorf (Wolhynien) stammende Frau kennen gelernt haben soll. Die Interviewpartnerin ist dabei ein Beispiel für den multiethnischen Charakter der Region – sie heiratete einen italienischstämmigen Mann, dessen Familie 1840 nach Brasilien eingewandert war.
Interessanterweise sei ihre Mutter von einer schwäbischen Familie aus Stuttgart erzogen worden, da besonders viele schwäbische Familien in Rio Grande do Sul wohnen würden, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Brasilien gekommen seien. Sie wies im Gespräch auch auf andere Migrationsgründe hin: Der Pflegevater ihrer Mutter kam nach ihrem Wissensstand 1924 nach Südamerika, denn er wollte „nicht mehr in einem neuen Krieg mitmachen.”
Nach ihren Erfahrungen würden nur noch wenige Deutsch sprechen. Es gäbe aber kleine Städte wie Pomerode oder Timbó (und Umgebung), wo sich noch viele auf Deutsch unterhalten würden. Einige Dialekte wären für sie schwer zu verstehen. Es gebe auch Vereine, die deutsche Lieder singen und deutsche Tänze tanzen würden. Einmal im Monat würden die Evangelischen einen deutschen Gottesdienst feiern.
Sie hat insgesamt den Eindruck, dass „das Deutschtum vergeht”, was aus ihrer Sicht ein „natürlicher Weg” ist. Die Traditionen würden aber bleiben, weil es um touristisch Verwertbares gehe. Dennoch sollte man sich davor hüten zu verallgemeinern. Deutschstämmigkeit äußere sich in Brasilien immer noch in vermeintlich deutschen Tugenden wie Fleiß und Ordnungsliebe.
Soweit ein erster Einblick in den Alltag der Deutschbrasilianer, natürlich aus Sicht einer einzelnen Person! Weitere Einblicke werden sicher noch folgen.
Bildquelle:https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1a/Centro_Entre_Rios_de_Minas.jpg