Von Dr. Johann Till
„Unserans“, diesen Begriff wollte ich nach der Lektüre des gleichnamigen Artikels von Georg Sawa im Sonntagsblatt Nr. 3/20220 spontan in das digitale Universallexikon Wikipedia eintragen. Habe dann mein Vorhaben verworfen, weil mir täglich neue Fragen zu unserem fast versunkenen und nun im SB wieder entdeckten, heimeligen Wort „Unseraans“ einfielen. Ich wurde unsicher, versuche es hier dennoch.
„Unseraane“ (usereine/r) sind überwiegend ältere bis sehr alte Menschen, ungarndeutscher Herkunft, die aus der rasch dahin schreitenden Zeit fallen. Ob man „Unseraane“ noch als „normale,“ „gewöhnliche“ Zeitgenossen betrachten kann? Hat die „Unseraans“-Bezeichnung überhaupt (noch) eine Mehrzahl? Wie viele mag es wohl noch geben im Lande? Oder sind „Unseraane“ als vorvorgestrige Menschen, als schräge Typen zu betrachten, die merkwürdig auffallen in der homogen genormten Einheitsgesellschaft? Vielleicht nur übriggebliebene Relikte einer einst multiethnisch bunten Vergangenheit? Museumsreife Gestalten, die in eine Exotika-Vitrine gehören? Oder sind „Unseraane“ – oh mein Gott! – gar Diverse? Oder was es sonst noch an „anere Leit“ in der Welt gibt.
Nach so viel nachdenklichen und provokativen Fragen an „Unserans“ was und wie sie seien, fiel mir der Leitartikel in der gleichen Nummer des Sonntagsblatts ein, in dem sich Nachkommen von „Unseraanen“, „Junge Wilde“ Ungarndeutsche, auch zu Wort melden („Junge Wilde“ im SB Nr. 3/2020 von Armin Stein). Dort rütteln junge ungarndeutsche Mittzwanziger mit unbekümmertem Elan an der alt und abgewohnt gewordenen Behausung „Unseraaner“. Sie sind jung und hellwach. Sie lassen sich nicht einlullen mit abgenutzten Fragen und schöngeformten hohlen Antworten zu ihrer ungarndeutschen Gegenwart und Zukunft. Sie wissen über ihre Herkunft, ihren familiären Hintergrund und über die Verluste (Sprache!) Bescheid. Sie schätzen ihre Lage nüchtern ein und nehmen die Herausforderung an. Sind selbstbewusste Ungarndeutsche im noch jungen 21. Jahrhundert. Wollen sich nicht als „blaufärber verzierte Fußnote in der Geschichte“ sehen (Zitat A. Stein). Sie suchen den deutschsprachigen Dialog. Sie suchen die Kommunikation und Kooperation in Onlinemedien in Ost-Mittel-Europa, wollen über digitale Plattformen aus dem einst ländlich geprägten ungarndeutschen Bild ihrer Vorfahren (Unseraanen?) heraus, in die Moderne des neuen Europa treten. Es ist ihre Chance und es richtig, wenn sie diese ergreifen.
Der Wandel von Zeit und Mensch ist naturgegeben. Der Wandel der Zeit geht rasend schnell. Der Wandel des Menschen zieh nach. Die Kinder von „Unseraans“ überschreiten schon längst unsere alte Dorf- und Landmarkierungen. Sie überschreiten die Grenzen und verlassen unser ungarndeutsches „skansenreifes Scheindasein“, wie es Georg Sawa bissig-bitter formuliert. Sie gehen von „Unseraans“ Haus und Heimat unbeschwert hinüber, nicht nur zu „anen Leit“, auch zu anderen Kulturen. „Unseraans“ ungarndeutsche „Wir-Markierung“ verschwindet, wie der letzte bunte Zipfel vom Kopftuch unserer schwäbischen Großmütter verschwand. Deshalb bleiben unsere aufbrechenden „Jungen Wilden“ immer noch „unseraans“ Nachkommen und bewahren vielleicht auch die Treue zu „unseraans Leit“, wie ich es auch tue.