Am Scheideweg – Zeitzeugen berichten über den Alltag der rumäniendeutschen Gemeinschaft vor und nach der Wende

Von Richard Guth

Neulich gelangte wieder „etwas Liegengebliebenes” in meine Hand, dem unser langjähriger Schriftleiter Georg Krix damals, also vor einem knappen Jahr, nur Anerkennung schulden konnte. Wir von der JBG waren in Siebenbürgen unterwegs und ich wollte so viel wie möglich über die Siebenbürger Sachsen erfahren, die mir nicht ganz unbekannt waren, jedenfalls seit meinem ersten Besuch 25 Jahre zuvor. Ich wusste, dass es in Hermannstadt/Sibiu einen deutschen Verlag und deutsche Buchhandlungen gibt, benannt nach dem deutschen Geistesgrößen Schiller, und ich war mir auch sicher, dass ich dort fündig werde.

Schicksale – Deutsche Zeitzeugen in Rumänien. Lebensmut trotz Krieg, Deportation und Exodus” – diesen Titel trug meine Entdeckung und sie entpuppte sich als eine Publikation, die man im Ungarischen schlechthin als „hiánypótló” (also etwas, was eine Lücke füllt) nennt. Hervorgegangen ist dieses Zeitzeugendokument, 2013 herausgegeben von der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (die uns im Oktober beherbergte) und des Schiller-Verlages, aus einem Zeitzeugeninterviewprojekt des Dresdner Diplom-Museologen Sören Pichotta, der durchs Land zog und Deutsche über 70 interviewte.

Entstanden ist ein facettenreiches Werk, das bemüht, alle deutsche Gruppen von der Bukowina über Siebenbürgen und Bukarest bis hin zu den Schwaben im Sathmar und im Banat mit einzubeziehen. Auffallend viele Zeitzeugen werden als Ledige vorgestellt, aber es fanden sich reichlich ältere Sachsen und Schwaben, die sich 1989/90 mit Familie (oft Mischehen mit Rumänen und Madjaren) für einen Verbleib optierten, während Familienangehörige, Freunde und Bekannte in Scharen das Land verließen. Eine bunt gemischte Gruppe, wenngleich die Gruppe der Akademiker (allen voran der pensionierten Lehrerinnen) überrepräsentiert ist.

Die Interviews geben einen interessanten Einblick in Kindheit und Jugend der Interviewpartner, aber noch bemerkenswert ist der Blick auf Studium und Berufsleben der Befragten, zumal diese größtenteils in die kommunistische Zeit fielen. Fast einhellig berichten die Zeitzeugen (nach Flucht, Deportation, Enteignung und Entrechtung) von einer recht schnellen Normalisierung der Lage der Deutschen in Rumänien (wir sprechen hier natürlich von einer Diktatur), allen voran bezüglich des Gebrauchs der deutschen Sprache in Schule und Öffentlichkeit, wobei es hier durchaus regionale Unterschiede gab. Die Befragten gewähren auch einen Einblick in ihr Rumänien- und Deutschlandbild, was man immer vor dem Hintergrund der Entscheidung für den Verbleib in der Heimat betrachten soll. Ihr Ausblick in die Zukunft ist größtenteils düster, etliche Zeitzeugen berichten vom Gefühl des Fremdseins in einem Umfeld, das sich seit der Auslösung der deutschen Dorf- und Stadtgemeinschaften stark verändert hat. Interessant ist dennoch der Aspekt, was die Deutschen in Rumänien hinterlassen haben sollen und inwiefern dieses Erbe eine Zukunft hat: Diese deutsche Kultur und Strukturen würden – so auch mein Eindruck bei der Siebenbürgenfahrt – von Madjaren, Roma, Rumänen oder Menschen aus Mischehen aufrechterhalten, was jedoch stark an Authentizität eingebüsst zu haben scheint.

Zum Schluss zwei Auszüge aus dem Band (in den sich Erinnerungen mit Erzählungen vermischen), mit einem starken Ungarnbezug. Auszug 1: „Was wissen Sie über die Madjarisierung der Deutschen im Banat? Eva Mayer (Jg. 1928, Temeswar): Meine beiden Großmütter und meine Eltern hatten zur ungarischen Zeit nicht Deutsch gelernt in der Schule, sondern Ungarisch. Wenigstens in der Sonntagsschule lernten deutsch lesen und schreiben. Unsere Verwandtschaft hat sich magyarisieren müssen, damit sie Offiziere bleiben konnten, genauso war es mit den Beamten. Das bedeutete nur Ungarisch sprechen und die Namen umschreiben lassen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg haben die Deutschen ihre deutschen Schulen und Rechte zurückbekommen. Aber unsere Eltern haben gegen die Ungarn nichts gehabt. Katharina Schütz (Jg. 1930, Temeswar): Auch meine Mutti hat in der Schule richtig Ungarisch lernen müssen, weil Deutsch nicht gesprochen werden durfte. Sie hat ihrem Großvater die deutsche Zeitung vorlesen müssen, damit er Deutsch übt. Und unsere Generation aus Temeswar spricht auch noch Ungarisch. Das man auf der Straße von den Kindern gelernt. Frau Mayer: Die Deutschen wären verloren, wenn die Rumänen nicht gekommen wären. Es wäre hier genauso gegangen wie mit den Deutschen in Ungarn. Die Siebenbürger Sachsen hatten es besser. Ich bewundere sie sehr, sie halten bedeutend besser zusammen als die Banater Schwaben. Und mein Vater sagte schon: Wir können uns ein Beispiel an den Sachsen und ihren Vereinen nehmen. (…) Jedenfalls – als nach dem Ersten Weltkrieg das Banat zu Rumänien gekommen ist, war das für die deutsche Bevölkerung eine Befreiung. Zum Beispiel die Sathmar-Schwaben, die haben noch kaum Schwäbisch sprechen können. Bei denen war die Magyarisierung so drin, dass sie das Deutsche fast vergessen hatten.” Auszug 2: „Was wissen Sie über die Situation der Deutschen zur ungarischen Zeit? Else von Schuster (Jg. 1925, Steiersdorf-Anina): Als das alles Ungarn war, also zur Generation meiner Eltern, kam die Magyarisierung und die Deutschen durften in der Schule nur ungarisch lesen und schreiben. Meine Mutter hat erzählt, dass sie sehr darunter gelitten hat, dass sie in der Pause nur Ungarisch reden durften. Selbst in der Kirche mussten die deutschen Priester nur ungarisch beten und predigen, die katholische Kirche hat also mitgemacht.”

Bild: Sächsisch geprägtes Straßenbild in Birthälm/Biertan

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