Von Georg Sawa
Bereits im 19. Jahrhundert etablierte sich besonders in Siebenbürgen eine blühende deutsche Parteienlandschaft, die die auf dem Gebiet lebenden deutschen Bürger nicht nur vertreten, sondern auch zusammengehalten und in ihrer Identität gestärkt hat. Die Auswirkungen davon haben sich bis heute als nachhaltig erwiesen. Bis diese Bestrebungen seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts auch im heutigen Ungarn Fuß gefasst haben, sind die Bestrebungen zur Herausbildung eines politisch und kulturell agierenden Deutschtums schon durch die Ereignisse der Weltpolitik sowie auch durch die nationale/nationalistische Reaktion Ungarns auf die Zerstückelung nach dem Ersten Weltkrieg letzten Endes gescheitert. Nachdem während des Sozialismus die leitenden Personen vom Einparteienstaat eingesegnet und in einen Funktionärsstatus erhoben werden mussten, um die Kontrollierbarkeit zu garantieren, entstand eine Elite, die nicht in direkter Beziehung zur Basis der Volksgruppe stand.
Obwohl es nach der Wende kurzfristig eine tiefgreifende Debatte unter den Ungarndeutschen gab, die durch die Einrichtung der Selbstverwaltungen bis zur Landesebene zur Entwicklung einer grundlegenden politischen Struktur geführt hat, gibt es bis heute keinen Durchbruch in der Richtung der öffentlichen und familiären Neubelebung der deutschen Sprache oder der Mundart. Gefestigt hat sich die nötige Struktur, um zum Beispiel Bewerbungsgelder, Stipendien oder sonstige Fördermittel abzurufen. Da es in diesem Bereich Interessen-Disharmonie herrscht, ist die Bestrebung klar nachvollziehbar, wie einige Klans als Interessengemeinschaft auf der Führungs- und Verteilerebene bestrebt sind, sich durchzusetzen. Diese Kreise bilden Lobbys in ihrem eigenen Interesse, um die Mittel „handfest” zu machen. Ihre Projekte verschlingen einen bedeutenden Teil dessen, was für die Volksgruppe allgemein zur Verfügung steht und wie anzunehmen, auch effektiver verwendet werden könnte.
Gut zu beobachten ist es, wie der Generationswechsel ebenfalls durch die Positionierung eigener Kinder, Enkelkinder und Verwandte geschieht. Darin sehe ich nicht nur die Gefahr einer Degeneration der Vertreter der Volksgruppe, die mangels Wettbewerb zu erwarten ist, sondern wird durch das gegenseitige Desinteresse der theoretischen (im Prinzip in Stich gelassenen) Basis und der künstlich etablierten Führungsschicht das Gefühl einer Zugehörigkeit erlöschen.
Eine ungarndeutsche Bekannte sagte mir unlängst, wer geschickt ist, könne heute gut zur Geltung kommen („natürlich” erklang der Satz in Ungarisch und hieß: „Aki ma ügyes, az jól érvényesül.”). Der Satz war ehrlich ausgesprochen, nur ohne eine Tiefenschau, was so etwas in der Wirklichkeit bedeutet. Denn wo bleibt die Frage nach einem Talent, nach der Moral – und danach, ob es in der Tat geschickt heißt, wenn man auf einem Servierwagen an sein „Glück” herangeschoben wird…
Wenn man das Herangehen eines Jakob Bleyers ins Auge fasst, gab es doch Personen in der Geschichte, die ganz anders gedacht haben. Die mit offenen Augen danach getrachtet haben, die Begabung in den eigenen Reihen zu entdecken und Menschen mit Talent einzugliedern und als Kampfgenossen für die Deutschen in Ungarn auf seinen Weg mitzunehmen. Nun, ja, wer ist heute noch ein Jakob Bleyer unter den Ungarndeutschen?…
Die menschliche Untugend ist stark. Besonders wenn es um die eigenen Vorteile geht. In Anbetracht der Mehrheit im Land ist die Nationalitätenfrage heute in ihrer letzten Sackgasse. Die Angehörigen der Volksgruppen sind in ihrer Instanz verdünnt, die Vertreter von ihrer Masse losgelöst und institutionalisiert. Die Sprache ist selbst aus den Familien verdrängt – man kann auch sagen, aus der Mode gegangen. Schade, meine Damen und Herren, aber wir haben uns doch sehr billig verkaufen lassen!