Kurz vor den Kommunal- und Nationalitätenwahlen sind wir auf einen interessanten Facebook-Post des Fünfkirchener Übersetzers, Dolmetschers und Reiseleiters, Johann Habel, aufmerksam geworden. Wir veröffentlichen den Beitrag in voller Länge und deutscher Übersetzung (von Richard Guth).
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Ich schreibe in der Regel nicht über Themen, die die Öffentlichkeit betreffen, aber nun fühle ich mich veranlasst, anlässlich der Nationalitätenwahlen im Oktober einige Gedanken von mir zu teilen. Am Mittwoch Nachmittag klingelte es bei mir an der Tür – ein junger Mann überreichte mir anlässlich der bevorstehenden Wahl der Deutschen Selbstverwaltung von Fünfkirchen einen an mich adressierten Umschlag. Darin war ein A5-Blatt mit dem Bild und dem Namen des Kandidaten sowie dem Satz „Die Zeit trennt, die Tradition verbindet!” auf einem Untergrund mit der schwarz-rot-goldenen Fahne. Im Umschlag habe ich noch ein Blatt des Formats A4 gefunden, mit seiner Vorstellung und seinem Programm in neun Punkten. Die Sendung hat mich positiv überrascht – ich möchte versuchen sie anhand meiner Kriterien kurz zu bewerten. Aber zwangsläufig wird diese Analyse länger ausfallen als ein Facebook-Post im herkömmlichen Sinne.
Ich halte es für positiv, dass der 25-jährige Kandidat
1. alle potenziellen Wähler erreichen möchte und deshalb das Wahlamt um die Herausgabe der Namen und Erreichbarkeiten derjenigen Bürgerinnen und Bürger bittet, die sich bei der vorangegangenen Wahl zur deutschen Volkszugehörigkeit bekannt haben, und sich ihnen vorstellt.
2. dass er in Punkten formuliert, was er bei seiner Wahl tun würde (Stärkung der Identität, Pflege der Traditionen, kulturelle Veranstaltungen, Ausstellungen, Gastronomie usw.).
3. ein „Sendungsbewusstsein” hat, wonach: „Ich nehme mich der Aufgabe an, die in Fünfkirchen ansässige deutsche Nationalität wieder zu einer starken und durch Aktivitäten präsenten Gemeinschaft zu schmieden, unter der Beteiligung der Jugend.”
Der Tatendrang und die Begeisterung, die die Zeilen versprühen, erinnern mich an mein Selbst vor 30 Jahren … Sein Programm zeigt, dass er bereit ist „groß zu träumen”. Er hat sich dafür entschieden, anstelle eines minimalistischen Programms mit einem maximalistischen anzutreten. Das ist sein gutes Recht.
Was ich vermisse:
1. Wenn er sich für diese Form der Kampagne entschieden und dabei weder Kosten noch Mühe gescheut hat, dann finde ich es schade, dass es ihm entgangen zu sein scheint, dass jedes Blatt zwei Seiten hat. Es bietet sich regelrecht an, dass seine Botschaft auf der anderen Seite auf Deutsch zu lesen ist. Letztendlich will er ja nichts anderes tun als die Fünfkirchner Schwaben zu vertreten. Nicht nur die Nation, sondern auch die Nationalität lebt in ihrer Sprache. Die Sprache ist Trägerin und Vermittlerin Nr. 1 der Kultur, ein identitätsstiftender „Faktor”. Meiner Ansicht nach wäre es unablässig, diese sprachliche Bindung zu betonen, denn „unser Deutschtum” können die „Strudel” und die „Plechmusik” an sich nur zum Teil ausdrücken.
2. Aus seiner Vorstellung geht es leider nicht hervor, ob der Kandidat deutsch spricht. „Ich verfüge in der Familie über deutsche Vorfahren, seit meiner Kindheit sind die deutschen Traditionen und die deutsche Identität Teil des Alltags.” Das ist alles schön und wirklich sehr brav, aber von den Mitgliedern der deutschen Selbstverwaltung erwarte ich, dass sie in der Lage, die deutsche Alltagssprache selbstsicher zu verwenden. Sitzungssprache ist Deutsch, man muss in der Lage sein, einen Beitrag zu leisten und zu verstehen, worum es in den Sitzungen geht. Es kann auch vorkommen, dass die Selbstverwaltung von einer deutschen/österreichischen Partnerschaftsdelegation besucht wird oder dass es mit ausländischen Institutionen oder gar Botschaften gemeinsame Projekte realisiert werden. Es gehört sich nicht, wenn eine Person, die die Fünfkirchner Deutschen vertritt, bei solchen Besprechungen den Taubstummen spielt. Also ist die Kenntnis und Verwendung der deutschen Literatursprache – jedenfalls für mich – kein „Verdienst”, sondern ein „Muss”, gewissermaßen conditio sine qua non.
3. Die Identität hat unterschiedliche Stufen. Der Kandidat will in diesem Zusammenhang mit der deutschen Fahne auch etwas zum Ausdruck bringen – ich weiß nicht, wie tiefgründig er sich mit den Bedeutungsebenen auseinandergesetzt hat –, was aber für mich kein „Orientierungspunkt” ist.
Die Mehrheit der mir bekannten Ungarndeutschen – obwohl ich es statistisch nicht belegen kann, es beruht auf Alltagserfahrungen – hat eine doppelte Identität, eine ungarische und auch eine deutsche, in der Regel nicht zur Hälfte jeweils, sondern je nach Situation ist mal eher die ungarische, mal die deutsche Identität stärker. Diese eigenartige Identität findet ihren Ausdruck darin, dass unser kleines Volk ein eigenes Wappen, eine eigene Fahne und Hymne hat. Die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Flugblatt des Kandidaten symbolisiert den deutschen Staat, der für mich kein Vaterland ist, ich kann und will mich mit ihm nicht identifizieren. Mein Vaterland ist Ungarn, das meine Vorfahren, die im 18. Jahrhundert von ungarischen Grundbesitzern eingeladen wurden, zusammen mit den anderen Völkern nach Jahrhunderten der Verwüstung wiederaufgebaut haben. Es steht fern von mir, das Recht jedes Einzelnen in Frage zu stellen, wie er seine eigene Bindung zur „Mutternation” definiert und ausdrückt, aber damit es klar ist: Als ungarländischem „Schwaben” ruft die Fahne der BRD auch den Text und die Melodie von „Einigkeit und Recht und Freiheit / Für das deutsche Vaterland!…” in Erinnerung, was mich aber ziemlich kalt lässt. Wohingegen das „Seid gegrüßt ihr deutschen Brüder…” und „Gott segne den Ungar” sozusagen mein ganzes Leben bedeuten.
Fazit: Ich fühlte mich geehrt, dass sich der junge Mann mit Hilfe eines an mich adressierten Briefes vorgestellt hat, und ich freue mich, dass er als 25-Jähriger so viel Tatendrang hat. Wenn sich zum Elan auch brauchbare Deutschkenntnisse, viel Lebenserfahrung und nicht zuletzt die gründliche Kenntnis der Geschichte der Ungarndeutschen vornehmlich im 20. Jahrhundert dazugesellt, dann kann es sein, dass aus ihm ein würdiger Abgeordneter der Fünfkirchner Schwaben wird.
Zu diesem Weg wünsche ich ihm Ausdauer und gute Gesundheit.