Von Richard Guth
Neulich war ich wieder auf Reisen: im Slowenischen Raabgebiet im Länderdreieck Ungarn-Slowenien-Österreich (siehe hierzu meine Reisenotizen). Was mir sofort ins Auge fiel, waren die vielen zweisprachigen Schilder in Oberzemming / Gornji Senik, der „Hauptstadt” der ungarländischen Slowenen. Aber genauso akkurat stehen, hier sogar dreisprachig, Schilder in der Nachbargemeinde Unterzemming, die einst ein deutsches Dorf war. Die Schilder sind meist nichtkommerziell, aber selbst auch an Geschäften finden sich hin und wieder slowenische oder deutsche Aufschriften. Und was in Ungarn wahrscheinlich einmalig ist: Ein grün-weißer Wegweiser des staatlichen Straßenbetreibers Magyar Közút Kht. in zwei Sprachen: auf Ungarisch und Slowenisch.
Auf der slowenischen Seite empfängt mich ein etwas anderes Bild: Die Dichte an zweisprachigen „statischen” Schildern ist etwas geringer, dafür, so die Aussagen meiner Gesprächspartner und meine eigenen Erfahrungen, ist die Sprache der madjarischen Minderheit viel präsenter. Jeder, den wir auf unserer Fahrt angesprochen haben, sprach, auf unterschiedlichem Niveau, Ungarisch – dies galt natürlich für Orte, wo Madjaren in größerer Zahl leben. Eine Dame Anfang 60 erzählte mir am Bukovnica-See, der zum Gemeindegebiet von Dobronack/Dobrovnik gehört, dass sie zweisprachig seien. Mit ihrer Enkelin, die sie begleitete, sprach sie dabei stets ungarisch. Ein Blick auf die Internetseite der Gemeinde zeigt, dass Zweisprachigkeit hier eine praktische Funktion besitzt. So stößt man auch am Seeufer auf Schritt und Tritt auf Schilder, stets zweisprachig, die die Besucher informieren. Sie sind aber keine Informationsschilder, die man im Rahmen eines EU-Projekts vor Jahren aufgestellt hat, sondern oft Zettel, die dort scheinbar vor kurzem angebracht wurden – als Zeichen eines lebendigen Sprachgebrauchs.
Ganz anders auf der ungarischen Seite: Die Internetseite der Gemeinde Oberzemming ist einsprachig ungarisch. Auch im Dorf selbst finden sich neben den bereits erwähnten Schildern, die vor Jahren angebracht wurden, nichts weiter, was tagesaktuell aussieht. Meine Gesprächspartner bestätigen die Defizite in der funktionalen Bestimmung der slowenischen Sprache in der Öffentlichkeit.
Es wäre äußerst ungerecht, die Lage der Slowenen als einzigartig darzustellen. Nein, das Beispiel der Slowenen ist symptomatisch und betrifft alle Minderheiten in Ungarn, so auch uns Deutsche. Die Sprache der Minderheit hat nur noch – es war eigentlich in den letzten 150 Jahren in Trianon-Ungarn nie anders – eine, wie soll man sagen, folkloristisch-koloristische Funktion, erscheint in Liedern, Aufschriften, im schulischen Fremdsprachenunterricht und hat keine praktische Funktion, weder in der Öffentlichkeit noch (mittlerweile) in den Familien. Wenn ein Selbstverwaltungsobmann der deutschen Minderheit auf einer Jubiläums-veranstaltung des deutschen Chores schmunzelnd ins Ungarische wechselt, was vom Publikum mit Wohlwollen aufgenommen wird und wenn Absolventen von zweisprachigen Gymnasien der Nationalität (und als Hoffnungsträger der deutschen Nationalität in der Öffentlichkeit vorgestellte Jugendliche) einander auf Ungarisch interviewen, dann wissen wir, dass hier etwas falsch läuft. Wo bleibt denn die Vorbildfunktion dieser Elitenleute? Man kann sich wirklich nicht mehr hinter irgendwelcher historischer Entwicklung verstecken, nein, es kommt ganz auf uns an, wie und ob wir der Sprache eine Funktion geben. Das Recht haben wir spätestens seit 1993 dazu.
Ich beobachte die Bemühungen der slowakeimadjarischen Initiative „Für eine zweisprachige Südslowakei”, die für zweisprachige Schilder im Bahn- und Straßenverkehr kämpft. Sie konnten in den letzten Jahren bedeutende Erfolge erzielen, was auch unseren Verein veranlasst hat, die „Schilderfrage” im Bahnverkehr zu stellen (siehe dazu unseren aktuellen Beitrag in „JBG-Nachrichten”!). Wir sind also nicht gegen Schilder, bitte nicht falsch verstehen! Aber wir wollen mehr Sprache hinter den Schildern haben, ganz am Beispiel der Slowakeimadjaren, deren Sprache eine klar definierte Funktion in der Öffentlichkeit hat, die es stets zu verteidigen gilt, die aber existiert – und nicht nur auf dem Papier.
Positiv stimmen einen die Worte der slowenischen Jugendlichen in Oberzemming, mit den ich sprechen durfte, die dieses Defizit im Kreise ihrer ungarnslowenischen Landsleute erkennen und betonen, dass es ohne Sprache keine Zukunft gibt. Aber bitte eine Sprache, die wächst und gedeiht und nicht auf Schildern prangt und einem eine falsche Realität vormacht!