von Viktória Göbl
Die Stille Masse- Beobachtungen einer ungarndeutschen Studentin
(Der Artikel ist ein rein theoretischer Beitrag, die Autorin hat keinesfalls eine Verallgemeinerung zum Ziel, die Beobachtungen basieren auf nicht-repräsentativen, eigenen Erfahrungen.)
Montag, spät am Nachmittag, Vorlesung an der deutschsprachigen Andrássy-Universität in Budapest. Zirka 30-40 Studenten sind anwesend, alle Anfang 20, alle müde nach dem langen Tag, die meisten haben schon mehrere Seminare hinter sich, einige haben den ganzen Tag gelernt oder gearbeitet. Deutsche, ungarische, ungarndeutsche Studenten und Studentinnen, mit ähnlichen Interessen.
Der Dozent stellt eine Frage bezüglich der Pflichtlektüre. Nehmen wir an, dass sie fast alle gelesen haben, die meisten haben es sogar verstanden. Zwei-drei Leute melden sich, sie antworten, nächste Frage, die nächsten zwei-drei Antworten und so geht es weiter in der ganzen Vorlesung. Was ist komisch daran, denkt man, so läuft es halt an einer Uni, oder?
Erstens, und das ist leider gar nicht so selbstverständlich: Eine Vorlesung an einer der ungarischen Universitäten sieht meistens komplett anders aus. Oft gibt es keine Pflichtlektüre(n) für die Vorlesungen, der Stoff wird von den Studenten in der Prüfungsphase auf einmal bearbeitet und wahrscheinlich 3 Tage später wieder vergessen. Fragen in einer großen Vorlesung sind noch seltener, das kann man recht schnell, in den ersten Monaten nach Studienbeginn feststellen. Der Dozent versucht dabei das Wissen auf irgendeine Weise zu übermitteln, entweder begreifen die Studenten das oder auch nicht. Wichtig ist, dass am Ende des Semesters alle die Prüfung bestehen. Oder auch nicht.
Und was können wir noch in der Vorlesung an der AUB beobachten? Wenn sich jemand einigermaßen an dieser Uni auskennt, dann weiß er, dass der Anteil der deutschen und ungarischen (bzw. ungarndeutschen) Studenten grob gerechnet 50-50 Prozent ist. Aber die Fragen des Dozenten werden fast ausschließlich von deutschen Studenten beantwortet. Sie melden sich, denken mit, versuchen proaktiv zu lernen, verbringen Stunden in der Bibliothek mit Recherche. Wir, ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen ungarischer/ungarndeutscher Abstammung sind natürlich keinesfalls dummer oder fauler. Wir sind einfach nur anders sozialisiert. Von den Grundschuljahren bis zum Staatsexamen büffeln wir fleißig, meistern unsere Prüfungen, wo auch nichts anderes gefragt wird, und haben das Ganze eigentlich so gern, wie es ist. Man erinnert sich sogar an vor 15 Jahren auswendig gelernte Gedichte. Hauptsache, aktives Mitdenken und Diskutieren werden nicht gefordert, denn das haben wir nie gelernt. Und das Ganze merken wir erst, wenn wir zufällig in einer anderen Umgebung weiterstudieren müssen.
Ob das Problem (oder nur ein Unterschied?) von dem Schulsystem verursacht wird, kann man leider nicht eindeutig sagen. In der ersten Klasse wird ja spielend gelernt, sagt man zumindest. Kinder machen überall gerne mit, ihre Freude am Entdecken ist grenzenlos, egal ob in Deutschland oder in Ungarn. Wann geht dann unser Wille zum proaktiven Lernen verloren? Man sollte sich darüber öfter Gedanken machen.