SB-Umfrage über die ungarndeutschen Auswanderer und EU-Arbeitnehmer

von Richard Guth

Die Zahlen reichen von 300.000 bis auf über eine Millionen – gemeint sind ungarische Staatsbürger, die im Ausland ihr persönliches und berufliches Glück suchen. Vorübergehend oder für immer. Statistiken zufolge sind die Auswanderer  in der Regel jung und gut ausgebildet. Hauptziele der EU-Binnenmigranten sind Deutschland, Großbritanien und Österreich. Unter ihnen finden sich auch zahlreiche  Ungarndeutsche. Fünf von ihnen hat das Sonntagsblatt bezüglich ihrer Motivation, Erfahrungen, ihres ungarndeutschen Hintergrunds und der Lage der deutschen Minderheit in Ungarn befragt. Die Namen wurden auf Wunsch der Interviewpartner von der Redaktion geändert.

Susanne stammt aus dem Süden von Ungarn und lebt seit 10 Jahren in Deutschland. Sie arbeitet seit einigen Jahren im DaF-Bereich und kümmert sich um die sprachliche Integration von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Für sie ist Ungarndeutschtum „eine bewusst gewählte Zugehörigkeit zu einer national, politisch und kulturell geprägten Gemeinschaft oder es ist etwas, wo man durch die Einflüsse der Umgebung hineinwächst – vielleicht genetisch bedingt?” Eine Frage, die nach eigenem Bekunden ihr nie zuvor gestellt worden sei. Ihr Kontakt zum Ungarndeutschtum bestehe durch ihre Familie väterlicherseits: „Die „ungarndeutschen” Elemente in meiner Kindheit habe ich nie als solche aufgefasst, sondern eher als Eigenart meiner Familie. Die deutsche Sprache war für mich eine komisch klingende, geheime Sprache, die meine Großeltern und andere Verwandte zu Hause benutzt haben – besonders, wo sie nicht wollten, dass wir Kinder was davon verstehen. Ich habe Deutsch erst mit 13 in Bayern gelernt, als ich mit meiner Familie dort ein halbes Jahr verbracht habe. Erst Jahre später, während meines Germanistikstudiums, habe ich mein Interesse für die Sprache entdeckt. Die Geschichte der Ungarndeutschen ist für mich hauptsächlich eine Sammlung aus privaten Geschichten, die in meiner Familie über Familienangehörige erzählt wurden, welche ich als Teil meiner Geschichte und darüber hinaus als Teil eines größeren historischen Kontextes zu verstehen gelernt habe.” Mit der Frage der nationalen Identität hätte sie sich erst in Deutschland auseinandergesetzt und für sich folgende Antwort gefunden: „Mir ist meine ungarische und deutsche – weniger ungarndeutsche – Identität wichtig.”

Kerstin stammt aus Südtransdanubien und ist ebenfalls väterlicherseits deutscher Abstammung. Sie lebt gegenwärtig in Wien und arbeitet im Gesundheitswesen. Ihre Urgroßeltern stammten aus Freiburg im Breisgau, kamen damals als deutsche Siedler nach Ungarn und hätten dort „ein neues Leben und eine neue Existenz aufgebaut.”  Kerstin ist ein Trennungskind und ist mit ihrer madjarischen Mutter aufgewachsen, die die Aneignung der deutschen Sprache nicht gefördert hätte. „Erst, als ich mich etwas später wieder mit meinem Papa getroffen habe und wieder Kontakt aufgenommen habe, dann bin ich mit meinem Ungarndeutschtum konfrontiert worden. Dann habe ich angefangen Deutsch zu lernen, damals war ich schon über 30.”

Bei Peter ist die Beziehung zur deutschen Herkunft viel enger und intensiver, „mein Ungarndeutschtum prägt mich sehr”, wie er sagt, stammt er doch sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits aus einer ungarndeutschen Familie. Er ist in der Nähe von Budapest aufgewachsen, ging später nach München und arbeitet dort im Marketingbereich.

Sebastian ist in Ungarn aufgewachsen und erst „das Studium hat” ihn „nach Deutschland gebracht”. Nach seinem Abschluss habe er wieder etwas Zeit in seinem Heimatland Ungarn gelebt, ehe er dann nach Österreich ging, um dort „einem meiner Ausbildung einschlägigen Beruf” nachzugehen, wie er sagt.

Katharina stammt aus der Nähe von Budapest und ist in einer ungarndeutschen Familie aufgewachsen. Nach eigenem Bekunden ist ihr „der ungarndeutsche Kulturkreis” sehr wichtig, was ihre aktive Mitgliedschaft in ungarndeutschen Kulturgruppen, die auch heute noch währt, zeigt. Die im Bildungs- und Erziehungsbereich tätige Katharina lebt seit einigen Jahren in Bayern und auch dort ist sie nach eigenen Angaben im lokalen Kulturleben aktiv.

Wie die Identitätsmuster, so sind auch die Motivationshintergründe, ins Ausland aufzubrechen, sehr vielfältig. Susanne ist wegen der Arbeit nach Deutschland gegangen. Sie wollte nach eigenem Bekunden eine Änderung in ihrem Leben und hätte sich aus praktischen Gründen für Deutschland entschieden. Bei Peter machte das „Zurück zu den Wurzeln” den Ausschlag: „Ich habe mich schon immer mit Deutschland und Österreich beschäftigt. Da war es nur eine Frage der Zeit, wann ich den Schritt wage. Natürlich spielten die besseren Verdienstmöglichkeiten auch eine Rolle – aber sie waren nicht ausschlaggebend.” Auch die halbungarndeutsche Kerstin beschäftigten ähnliche Gedanken: „Ich wollte immer mal nach Deutschland gehen, die Fragen waren innerlich immer da: Woher kommen meine Verwandten, meine Urgroßeltern? Wie ist es dort, wie sind die Leute?” Über einen deutschen Freund kam sie dann endlich ins Land der Urahnen, konnte aber nur ein Jahr bleiben, weil ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen sei, die nicht verlängert worden sei, obwohl sie gerne bleiben wollte. Österreich soll eher ein Zufall gewesen sein: Durch ihre Ehe mit einem Österreicher sei die Alpenrepublik nun zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. Auch Katharina gelangte über persönliche Kontakte nach Deutschland: Das Volkstanzensemble ihres Heimatortes pflegt enge Kontakte zum Trachtenverein der Partnergemeinde – im Rahmen dieses kulturellen Austausches habe Katharina ihren Freund kennen gelernt. Auf Empfehlung ihres Freundes habe sie den Kontakt zur Gemeindeverwaltung aufgenommen, was zur Folge hatte, dass sie nun eine Anstellung hat. Eine Entscheidung mit Fragezeichen: „Ich bin immer noch sehr unsicher, aber letztendlich bin ich auf die Entscheidung gekommen, dass eine Berufserfahrung in Deutschland nichts schaden kann, und wenn es mir nicht mehr gefällt, kann ich immer noch in meinen Heimatort ziehen.” Für Sebastian waren die Beweggründe vielfältig: „Der primäre Faktor ist natürlich das höhere Gehalt, aber auch die kulturelle Bindung zum deutschsprachigen Ausland, wenn man sich schon selber dieser Kultur zugehörig fühlt. Es ist auch erwähnenswert, dass man mit dem Zug (Railjet) aus Budapest genauso schnell nach Wien wie nach Fünfkirchen fahren kann. Die geographische Nähe ist im Fall von Österreich also erwähnenswert. Ich bin der Auffassung, dass man die Chance, Arbeit im Ausland nachzugehen, wahrnehmen muss, solange man noch mobil ist. Später kann man zu Hause sein. Unter 30 Jahren geht das auch relativ einfach.“

Auch hinsichtlich der gesammelten Erfahrungen zieht Sebastian eine positive Bilanz: „Drüben lebt es sich tatsächlich einfacher. Durch den Lohnniveauunterschied sind die Leute wesentlich entspannter und ihre Alltagsprobleme sind einfacher zu lösen. Wenn man das Glück hat, eine entsprechende Qualifikation und einen deutschen Vor- und Nachnamen zu besitzen, fällt man im Gastland auch nicht besonders auf. Man wird schneller aufgenommen. Das Gefühl, zu Hause zu sein kann jedoch nichts ersetzen. Als gebürtiger Budapester freue ich mich immer, in meiner Heimatstadt zu sein, wenn auch ich nicht mit jeder gesellschaftlichen Tendenz der letzten Jahre zufrieden bin.“ Katharinas Integration war auch erfolgreich: Sie berichtet davon, dass sie binnen eines Monats ein Vorstellungsgespräch gehabt hätte und bereits zum Beginn des nächsten Erziehungsjahres dort eingestiegen sei: „Hier ist es ganz normal, Ausländer/in sein. Es ist nichts Besonderes. Auch die Vorschule, wo ich arbeite, ist sehr bunt. Wir haben indische, bulgarische, russische, vietnamesische, polnische Kinder und auch Kinder aus gemischten Ehen wie deutsch-französisch, deutsch-amerikanisch, deutsch-österreichisch. Also meine Erfahrungen als „Ausländerin“ sind sehr gut. Ich fühle mich nicht anders wie in Ungarn. Vielleicht wenn, dann noch besser. Die Kollegen sind gegenüber jüngeren Fachkräften auch viel offener und unterstützen sie viel mehr.“ Für Peter gab es, da er zuvor öfters in Deutschland war, wenig Überraschendes: Die größte Umstellung für ihn war, sich selbst zu versorgen. Kerstin weist auf die Mentalitätsunterschiede, die sich auch im Berufsleben niederschlagen würden, hin: „Fachlich sehe ich nicht zu viele Unterschiede, obwohl unsere Ausbildung nicht anerkannt wird. Unterschiede gibt es, wie man mit den Dingen umgeht. Wir ticken einfach anders, weil wir in anderen Verhältnissen aufgewachsen sind. Wir sind viel erfinderischer.“ Bei Susanne überwogen am Anfang die Zweifel: „Ich habe am Anfang nicht in meinem Beruf arbeiten wollen. Einerseits wegen meiner Entscheidung für einen Neuanfang, andererseits weil ich dachte, dass die muttersprachliche Konkurrenz zu hoch war. Ich habe die ersten zwei Jahre allerlei Jobs gemacht und bin letztendlich doch beim Deutschunterricht gelandet und mache das gern.“ Mittlerweile hat sie sich gut integriert: “Ich lebe zwar in Deutschland, aber Berlin ist noch mal eine andere Welt. Mit Deutschen habe ich hauptsächlich beruflich, amtlich u. Ä. zu tun. Ich habe Freunde und Bekannte aus vielen verschiedenen Ländern und auch einige aus Deutschland.“

Zweifelsohne ist es eine interessante Frage, inwiefern das Leben im deutschsprachigen Ausland die eigene (ungarndeutsche) Identität beeinflusst. Katharina hat hierzu eine ganz klare Meinung: „Meine Identität ist meine Identität. Die kann man nicht verändern oder beeinflussen.“ Susanne hat diese Frage präzise reflektiert: „Das Leben in Deutschland hat die Frage meiner nationalen Identität in den Vordergrund gerückt. Ich habe viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, Ausländerin, Europäerin, Ungarin und teils deutscher Herkunft zu sein. Ich habe vieles in der deutschen Kultur, Haltung und den deutschen Wertvorstellungen entdeckt, mit denen ich mich identifizieren – und vielleicht mehr identifizieren – kann als mit den ungarischen. Dazu gehören unter anderen die Rücksichtsnahme und Wahrung der Privatsphäre – die ich jedoch manchmal auch übertrieben finde -, die Ehrlichkeit – nicht um den heißen Brei herumreden, wie das in Ungarn oft der Fall ist -, die Diskussionskultur, die in Ungarn typischerweise kompetitiv und weniger konstruktiv abläuft, eine bewusste und „erwachsene” bürgerliche Haltung, die auf der Überzeugung basiert, etwas auch selbst bewirken zu können, was in Ungarn so noch nicht existiert. Andererseits gibt es auch Bereiche, wo ich im Vergleich dazu, was ich oft in Deutschland, genauer gesagt in Berlin, erlebe, die „ungarische Art” bevorzuge. Diese ungarisch-deutsche Gegenüberstellung kommt aus meinem individuellen Kontext. Ich möchte damit nicht sagen, dass man eine „deutsche bzw. ungarische Art” so abgrenzen oder definieren kann.“ Peter, der aus einer „rein“ ungarndeutschen Ehe stammt, meint, dass das Leben in Bayern seine (ungarn)deutsche Identität gestärkt hätte: „Es ist nicht einfach unsere Situation den „richtigen” Deutschen zu erklären. Ich glaube, sie kapieren das erstmal gar nicht. Man wird doch eher als Ungar angesehen als Deutscher. Wobei es auch Gegenbeispiele gibt, wo Leute relativ schnell verstanden haben, wie es ist.“ Sebastian hat auch ähnliche Erfahrungen gesammelt: „Es hat mich in meiner deutschen Identität gestärkt, wenn es auch gleichzeitig die Unterschiede offengelegt hat, die es zwischen bundes- und auslandsdeutschen Gemeinschaften gibt. Es sind verschiedene Gemeinschaften mit unterschiedlicher Sozialdynamik. Mein Deutschtum hat nichts mit der Bundesrepublik oder sonst welchen Staaten zu tun, sondern mit meiner Sprache, Alltagskultur und dem kulturellen Erbe. Ähnlich hat das auch der rumänische Präsident Klaus Johannis, selber Siebenbürger Sachse, formuliert. Die deutsche Kultur bestimmt zu einem entscheidenden Teil meine Denkweise und meinen Blick auf die Welt. Ähnlich zu vielen ungarndeutschen Bekannten von mir bin ich ein Kulturdeutscher, geopolitisch gesehen ungarischer Patriot und überzeugter Europäer.“

Die Zeit verändert einen, aber auch das Verhältnis zum eigenen Heimatland. Kerstin betrachtet Ungarn weiterhin als ihr Heimatland, wo ihre Wurzeln lägen, ihre Freunde, Familie und Vergangenheit. Aber nun finde ihr Leben nicht mehr dort statt, was nach eigenem Empfinden auch ihre Mentalität verändert hätte. Peter empfindet mehr Distanz zu Ungarn, obwohl er immer noch gerne seine Heimatstadt besucht: „Aber Ungarn an sich lässt mich kalt. Mit Landnahme, Stefan usw. kann ich wenig anfangen. Ich habe bereits die Erfahrung gemacht, dass ich mich in bestimmten Regionen in Ungarn fremder gefühlt habe als irgendwo in Deutschland oder Österreich, wo ich noch nie zuvor war.“ Katharina spürt eine enge emotionale Bindung zu Ungarn, bei ihr spielt aber auch die Frage eine Rolle, wie sich ihr Freund bei einer Übersiedlung integrieren könnte: „Mein Freund, den ich so lieb habe, stammt von hier, er redet nur Deutsch/Bayrisch und Englisch, für ihn wäre es in Ungarn recht schwierig. Auch die Lebensqualität ist anders. Für mich ist es einfacher mich an ein Leben in Bayern zu gewöhnen als es für ihn in Ungarn wäre. Als Deutscher sich an einen ungarndeutschen Lebensstil zu gewöhnen ist auch nicht immer so einfach. Es gibt  Beispiele dafür, dass es gut klappen kann, aber auf diesen Moment muss ich noch warten.“ Bei Susanne und Sebastian spielen bei der Frage nach dem Verhältnis zu Ungarn auch aktuelle Entwicklungen eine Rolle. Susanne sagt, dass Ungarn ein anderes Land, sei es Deutschland, nie ersetzen könnte. „Allerdings lebe ich schon lange genug in Deutschland, um eine gewisse Distanz und ein gewisses Fremdgefühl zu Ungarn zu entwickeln. Damit sind Gefühle der Erleichterung und auch der Traurigkeit verbunden. Ich denke nicht daran, je wieder in Ungarn leben zu wollen. Das hat nicht nur politische Gründe, aber diese spielen dabei eine immer größere Rolle“, so die Deutschlehrerin. Sebastian beschreibt seine Gefühle zu Ungarn folgendermaßen: „Auch wenn Ungarn das langweiligste und intoleranteste Land wäre, bliebe es meine Heimat, und die Sonne würde jeden Morgen genauso aufgehen. Zum Glück ist es ein spannendes und zum Teil weiterhin offenes Land. Dies sollte allerdings nicht heißen, dass sich in Ungarn aus meiner Sicht alles positiv entwickeln würde. Mit dem Migrationsthema zum Beispiel sollte es irgendwann endlich einfach gut sein. Manchmal kommt es einem vor, als gäbe es hier keine anderen, wichtigeren Themen wie die Korruption oder die Dauerkrise im Gesundheitswesen.“

Hinsichtlich der Beurteilung der Lage der deutschen Nationalität in Ungarn zeigt sich ein gemischtes Bild. Am positivsten sieht die Lage Kerstin, die die wenigsten Verbindungen zum Ungarndeutschtum besitzt: „Die deutsche Minderheit in Ungarn ist ein Teil von Ungarn und assimiliert, aber jeder kann und darf seine Identität behalten, was Zweisprachigkeit und Kultur betrifft. In meinem Komitat Branau kann man vom Kindergarten bis zum Abitur alles zweisprachig machen. Ungarndeutsche haben viele Vereine und Möglichkeiten ihre Identität frei zu pflegen.“ Auch Katharina gehört zu den Personen, die die Lage positiv beurteilen: Sie spricht sogar davon, dass das Ungarndeutschtum „eine Blütezeit“ erlebe. Sie räumt ein, dass das sicherlich nicht auf alle ungarndeutschen Ortschaften zutreffe, aber auf ihren Heimatort ganz sicher. Susanne, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, verfügt über wenig persönliche Erfahrungen, betont aber, dass die größte Herausforderung generell darin liege, sich als Zugehöriger einer Gemeinschaft nicht im Gegensatz zu anderen zu behaupten beziehungsweise sich nicht ab- bzw. auszugrenzen. „Die Alten werden immer weniger, viele Jugendliche interessieren sich dafür nicht mehr oder haben gar keinen Bezug dazu. Die Globalisierung tut ihr Übriges. Der Dialekt wird wenig bis gar nicht gesprochen. Es kommen zu viele Einflüsse von außerhalb“, meint Peter, der aber auch von positiven Entwicklungen zu berichten weiß, insbesondere im kulturellen Bereich. Es sei daher eine Kraftakt aller, die Traditionen, Werte und Sprache aufrechtzuerhalten. Auch Sebastian bemüht sich darum die Lage der Deutschen in Ungarn differenziert zu betrachten: „Es bedarf mehr kompetenter Sprachträger in der Öffentlichkeit und einer effizienteren Ausschöpfung der seitens der Regierung bereitgestellten Möglichkeiten. Es kann ja nicht sein, dass jemand, der vier oder mehr Jahre in einem Nationalitätengymnasium der deutschen Minderheit verbracht hat, nicht fähig ist, fünf Sätze für die deutsche Sendung des ungarischen Fernsehens zusammenzukriegen. Das geht nicht. Hier können wir wirklich was von den Rumänen lernen, wo der deutsche Sprachunterricht glänzend funktioniert. Auf der anderen Seite bekannten sich seit langem nicht so viele Leute in Ungarn zu ihrem Deutschtum wie in den letzten Jahren. Das gibt Grund zum Optimismus. Bei kompetenter Vertretung unserer Interessen sehe ich gute Chancen, dass es in der nächsten Generation noch 50 bis 100.000 Ungarndeutsche geben wird. Die Sprache (sei es die Mundart oder Hochdeutsch) darf aber im Alltag nicht auf der Strecke bleiben. Ich kann damit leben, dass bei den meisten Veranstaltungen (der deutschen Minderheit) nicht jeder Deutsch kann, aber warum sollen sich sprachlich die anpassen, die noch Deutsch können? Wohin führt uns diese Praxis? Auch im Kreise der ungarischen Minderheit in den Nachbarländern gibt es einen Punkt, wo man sagt, sprachlich ist man kein (Auslands-) Ungar mehr. Warum sollte das bei den Deutschen anders sein? Diese Fragen sollte man sich stellen können.“

Viele meinen, bei den Auswanderern (oder generell Menschen, die im Ausland eine Arbeit gefunden haben) handele sich um Menschen, die für das Land verlorengegangen seien. Die Rückmeldungen zeigen auch hier ein komplexeres Bild. Susanne möchte sich gerne den Fragen der Gegenwart widmen, aber generell möchte sie ihr jetztiges Leben weiterführen. Kerstin möchte nicht mehr zurückkehren, sondern im deutschsprachigen Raum bleiben und dort ihre Kinder großziehen. „Aber natürlich werde ich einen Teil von unserer Kultur und Identität und auch die ungarische Sprache weitergeben“, so die Neuwienerin. Peter hingegen kann sich durchaus vorstellen irgendwann in seine Heimatstadt nahe Budapest zurückzukehren, und bringt es gemäß der Redensart in seiner neuen Heimat so auf den Punkt: „Schaun mer mal, dann sehn mer scho.” Katharina wünscht sich wieder dort zu leben, wo ihre Familie und Freunde sind. Das sei aber nicht einfach: „Jetzt habe ich ein Dahaam und ein Dahoam. Beide sind sehr wichtig für mich.“ Am rückkehrwilligsten zeigt sich der aus Budapest stammende Weltbürger Sebastian: „Ich arbeite, solange es mir Spaß macht, in Österreich, Deutschland oder wo auch immer weiter und kehre nach einigen Jahren nach Ungarn zurück. Budapest ist eine pulsierende, großartige Stadt!“

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