Von Richard Guth
Das Zentrum hat im November über Pläne der Regierung berichtet, wonach der immer gravierendere Mangel an Nationalitätenkindergärtnerinnen und -kindergärtnern mit Hilfe eines Stipendienprogramms für Hochschulabsolventinnen und -absolventen für Elementarpädagogik behoben werden soll. Im Gegenzug müssen sich die angehenden Kindergärtnerinnen und Kindergärtner verpflichten, einige Jahre in Ungarn zu arbeiten. Das Programm, das gerade ausgearbeitet wird, soll neben den deutschen auch anderen Minderheitenangehörigen mit entsprechendem Berufsziel zugutekommen. Ungarndeutscherseits soll es von der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen koordiniert werden.
Das Modell ist nicht neu, so gilt es auch für Studenten in Ungarn, die ein staatliches Stipendium erhalten (es sind nicht wenige), dessen Höhe von den Leistungen des Studierenden abhängt. Eine Rückzahlungspflicht besteht, wenn der Student in einem Zeitraum von 20 Jahren nach Beendigung des Studiums nicht einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Ungarn nachgeht, und zwar in Höhe der geförderten Studienjahre. Ein ähnliches Programm gibt es im Gesundheitswesen (Lajos-Markusovszky-Stipendium) für angehende Fachärzte und Apotheker, die ein Stipendium in Höhe von 100.000 Forint (etwa 320 Euro) netto im Monat erhalten – sie müssen sich im Gegenzug verpflichten, eine gewisse Zeit, die der Studienzeit entspricht, in der das Stipendium gezahlt wurde, im ungarischen Gesundheitswesen zu arbeiten.
Über Erfolg und Misserfolg der obigen Programme (in erster Linie des ersten Programms für ungarische Hochschulabsolventen) zu urteilen ist schwierig. Ich würde mich – wohlwissend um die „Schlagfertigkeit” und „Kreativität” meiner Landsleute und die Beschaffenheit des politisch-gesellschaftlichen Umfelds – aber sehr wundern, müsste nur ein einziger Student dieses Stipendium zurückzahlen, sollte es ihn ins Ausland verschlagen. Sicherlich ist es ein gerechtfertigtes Interesse des Staates und der Bevölkerung, dass das in das Studium investierte Geld über einen Beitrag des Geförderten der Gemeinschaft zugutekommt. Sicherlich hat das Markusovszky-Stipendienprogramm einige davon abgehalten das ungarische Gesundheitswesen nach Abschluss ihrer Facharztausbildung gen privates Gesundheitswesen oder Ausland zu verlassen. Die akuten Personalprobleme in kassenärztlichen Praxen und Krankenhäusern hat das Programm nicht lösen können, zumal es sich auf eine medizinische Teilberufsgruppe, die der so genannten Residenten konzentriert.
Das größte Manko dieser Programme ist die Verpflichtung, sich zu binden (viele pflegen den Begriff „an die Scholle gebunden zu sein” zu verwenden, was an feudale Zeiten erinnert), gerade in einer Zeit, wo man immer weniger gewillt ist feste Bildungen einzugehen. Dies gilt gerade für junge Menschen. Das Prinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union steht diametral zu obrigkeitsstaatlichen Bestrebungen der Einschränkung dieses Grundrechts. Ich will noch einmal betonen, dass die Gemeinschaft für eine Leistung durchaus eine Gegenleistung erwarten darf. Aber ob Zwang als Motivation herhalten kann, ist mehr als zweifelhaft, gerade in Zeiten, wo die Aufnahme einer Arbeit im Ausland auch in Ungarn den Alltag vieler Familien prägt.
Das geplante Programm (über Ausgestaltung und finanzielle Rahmenbedingungen wird noch verhandelt) setzt durchaus an der richtigen Stelle an – denn, so zeigen Untersuchungen aus dem Primar- und Sekundarstufenbereich, verlassen die meisten den Lehrerberuf in den ersten fünf Jahren nach Beendigung des Studiums. Nicht viel anders dürfte es in den Kindergärten sein. Es bedarf aber zusätzlicher, wenn nicht anderer Motivatoren, die jungen Kindergartenpädagogen im System zu halten. Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass viele angehende Kindergärtnerinnen und Kindergärtner bereits während des Studiums von deutschen und österreichischen Trägern angeworben werben: Veränderte Familienrollenbilder, gestiegene Konsumansprüche und Ausgaben, der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab drei Jahren, die Senkung der Kita-Gebühren in vielen deutschen Bundesländern und der Zuzug unter anderem auch von ungarischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sorgen im deutschsprachigen Ausland ununterbrochen für Bedarf an neuem Personal. Da ist jede deutschsprachige Fachkraft willkommen. Ob ein Stipendiumprogramm es vermag, der Versuchung durch wesentlich höhere Löhne im deutschsprachigen Ausland entgegenzuwirken, darf bezweifelt werden. Auch hiesige Kindergärten leiden unter Personalmangel, was vielfach dazu führt, dass reichere Kommunen durch Prämienzahlungen Kindergärtnerinnen abwerben. Auf das verbliebene Personal kommt immer mehr Arbeit zu, es wird regelrecht verbrannt, was mittel- und langfristig zu mehr Fluktuation und Burn out-Symptomen führt und führen wird. Mittelfristig wird man nicht drumherumkommen, die Löhne im Bildungs- und Erziehungsbereich kräftig zu erhöhen, was zwangsläufig die Bereitstellung von mehr öffentlichen Finanzmitteln erfordert. Staatliche Stellen scheinen dabei auf Zeit zu spielen und bestimmte Teilgruppen (aus welcher Überlegung heraus auch immer) besserzustellen, durch spezielle Laufbahnmodelle, die aber unter finanziellen Aspekten – wie man es im Falle des Laufbahnmodells für Lehrer sieht – mit dem Lohnzuwachs in der privaten Wirtschaft bislang nicht mithalten konnten.
Entscheidend wird es auch sein, ob es gelingt die Arbeitsbedingungen der Kindergärtnerinnen und Kindergärtner zu verbessern. Allen voran geht es um die Gruppengrößen, die schon immer als Ventil herhalten mussten, wenn zusätzlicher Bedarf entstand (wie Kindergartenbesuchspflicht) oder angesichts des aktuellen Personalmangels Lücken gefüllt werden müssen. Jeder, der Kinder oder Elternkinder hat, weiß, dass die Kinder von heute viel mehr Förderung und Zuwendung benötigen und oft einfordern, als diejenigen, die in der obrigkeitsgläubig-patriarchalischen Welt der vergangenen Jahrzehnte aufgewachsen sind. Zudem verändert sich die Gesellschaft ständig, und viele Probleme, der man früher in der Familie (die heute oft aus einem Elternteil besteht) begegnete, werden gerne auf die Bildungseinrichtungen abgewälzt. Meist ohne Dank. Die Zahl von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf steigt seit Jahren, was nach mehr Personal verlangt, und das in einer Zeit, wo es ohnehin schwierig ist, das Stammpersonal zu halten und Stellen nachzubesetzen. Darüber hinaus verlangt das Laufbahnmodell immer mehr Administration, was Zeit kostet, die dann im Kerngeschäft der Kindererziehung fehlt. Im Falle von ungarndeutschen Kindergartenpädagogen wird oft darüber berichtet, dass der aktive Gebrauch der deutschen Sprache – für die meisten mittlerweile eine gelernte Fremdsprache – im Kindergartenalltag trotz mehr Fortbildungsmöglichkeiten als früher eine besondere Herausforderung darstellen würde.
Auch wenn Stipendienprogramme durchaus ihre Berechtigung haben, sie als Allheilmittel lobzupreisen, würde nur den Blick auf die Systemdefizite verdecken.