„Über Vorhaben bezüglich Kultur, Bildung und Spracherhalt hinaus müssen wir auch Ziele setzen, die zur wirtschaftlichen Entwicklung der von Ungarndeutschen bewohnten Gebiete dienen”
Dr. Koloman Brenner – ungarndeutscher Germanist, Sprachwissenschaftler, Politiker, Dozent des Germanistischen Instituts der Eötvös-Loránd-Universität – ist aktiver Mitgestalter der deutschen Nationalitätenpolitik Ungarns und des öffentlichen Lebens der europäischen Minderheiten. Über seine zahlreichen Funktionen hinaus war er 22 Jahre hindurch Mitglied der Vollversammlung der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Dieses Mandat gab er schließlich zurück, weil er beschlossen hat, bei den Parlamentswahlen 2018 als Ödenburger Kandidat der Partei Jobbik anzutreten. Er errang von der Parteiliste einen Platz im ungarischen Parlament, und nimmt sich auch seitdem der Angelegenheit der in Ungarn lebenden deutschen Gemeinschaft an.
▪ Über die Verknüpfung mit Jobbik
„Es war eine Entscheidung, die ich mir nicht leicht gemacht hatte. 2015 wurde ich zu einem Treffen von Intellektuellen eingeladen, wo ich eine Gemeinschaft kennengelernt habe, die mir sowohl fachlich als auch politisch und menschlich sympathisch war. Daraus erwuchs eine gute Zusammenarbeit, viele Treffen in kleinen und größeren Kreisen fanden statt, letztendlich half ich Jobbik als Experte in zwei Bereichen: im außenpolitischen Bereich, besonders bezüglich der Kontakte mit den deutschsprachigen Ländern, wie auch im Bildungswesen. Ich durfte am Bildungsprogramm von Jobbik mitarbeiten, da ließ ich meine Erfahrungen als langjähriger Prodekan, sowie als Sekretär der geistes- und sozialwissenschaftlichen Kommission der Ungarischen Rektorenkonferenz mithineinfließen. Es entstand ein Intellektuellenkreis um die Partei, wo ich in der neuen Legislative sogar die Koordination übernehmen durfte.
Für die Kandidatur entschied ich mich, nachdem mich der damalige Parteichef Gábor Vona im Juli letzten Jahres gefragt hatte, ob ich nicht als Person des öffentlichen Lebens auch in die erste Reihe gehen möchte. Wie schon erwähnt, war es keine leichte Entscheidung, da ich früher keine politische Laufbahn anstrebte. Trotzdem übernahm ich diese ehrenvolle Aufgabe, weil ich der Überzeugung bin, dass es in einer politischen Lage, wie sie sich in unserer Zeit entwickelt hatte, gewisse Pflichten gibt für die ‚Schriftgelehrten‘. Als junger Mensch hatte ich noch das Ende von einem Einparteiensystem erlebt, und ich möchte nie wieder in so einer Gesellschaft leben.“
▪ Über Meilensteine, prägendsten Erfahrungen und wichtigste Herausforderungen als Parlamentsabgeordneter
„Es ist eine neue Lebensphase, ich hatte eine heftige – und zum Teil dreckige – Wahlkampagne durchgemacht. Im Vergleich damit ist der parlamentarische Alltag eine Erfahrung, wo ich doch meine früheren Erfahrungen benutzen kann. Natürlich müssen Parlamentsreden oder Pressekonferenzen anders gestaltet werden als Vorlesungen an der Universität. Hierbei lerne ich ständig dazu, und auch im Allgemeinen genieße ich die sehr guten Coaching-Möglichkeiten bezüglich der politischen Kommunikation. Mein Arbeitsalltag schaut so aus, dass ich ‘mal zum Beispiel als Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg bin – dort durfte ich im Plenum die Präsidentin des Ministerrats an die Belange der klassischen nationalen Minderheiten erinnern; Plenarsitzungen, Pressekonferenzen und wichtige Ausschusssitzungen wechseln sich ab mit Gesprächen in diversen Arbeitsgruppen oder mit meinen Mitarbeitern. Ich habe die große Ehre, im Ausschuss für Auswärtiges bzw. des Nationalen Zusammenhalts des Parlaments zu sitzen, im Unterausschuss für Autonomie bekleide ich den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden. Nicht zuletzt habe ich auch meine Dozentenstelle nicht vollkommen aufgegeben, da ich meine wichtigsten Lehrveranstaltungen auch weiterhin am Germanistischen Institut der ELTE fortsetzen möchte. Vor kurzem erschien mein neustes Buch mit dem Titel ‚Deutsche Minderheiten und Institutionen‘, also auch die Wissenschaft soll nicht gänzlich aus meinem Leben verschwinden.“
▪ Über den Einsatz als Jobbik-Abgeordneter für die Nationalitäten
„Ich möchte daran erinnern, dass Jobbik als einzige Partei in ihrem Wahlprogramm eigens die Nationalitäten in Ungarn auch berücksichtigt hatte, an erster Stelle die Ungarndeutschen. Der weitere Ausbau der kulturellen Autonomie der Deutschen in Ungarn, die Neubelebung der deutschen Sprache und Kultur mit Hilfe der Bildungsinstitutionen sind die strategischen Ziele, die ich bei meinen Bemühungen verfolgen werde. Diejenigen, die mich 22 Jahre lang als Mitglied der LdU in Erinnerung haben, wissen, dass diese Ziele meine Herzensangelegenheiten sind. Ich hoffe, dieselben in dieser neuen Funktion mit noch mehr Nachdruck vertreten zu können.“
▪ Über die Kooperation mit der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen
„Es muss ein Dialog zwischen der LdU und den Parteien auf einer anderen Ebene gestartet werden. Die bisherige Politik der Landesselbstverwaltung, dass sie sich nämlich formell von den politischen Parteien abgrenzt, ist nicht mehr haltbar, denn die LdU wurde nach ihrem Wahlerfolg ein vollberechtigter Akteur der ungarischen Politik. Wir müssen gemeinsame Ziele finden, wofür wir in der Zukunft gemeinsam arbeiten können. Und nicht nur im Bereich von Kultur oder Sprach- und Bildungspolitik, sondern auch, wenn es zum Beispiel um die wirtschaftliche Entwicklung solcher Gebiete geht, wo Ungarndeutsche leben. Die Jobbik wird auch im Weiteren offen für solche Dialoge sein, und mein Ziel ist, dass wir effektiv für das Ungarndeutschtum kooperieren. Nach dem bedauerlichen Ableben von unserem ehemaligen Vorsitzenden Otto Heinek, das mich persönlich tief getroffen hatte, da wir ja seit mehr als 20 Jahren in unterschiedlichen Funktionen einen gemeinsamen Weg gingen, wird in naher Zukunft mein erstes Treffen mit der neuen Vorsitzenden, Olivia Schubert stattfinden.“
▪ Über die Zusammenarbeit mit Emmerich Ritter, dem Abgeordneten der Ungarndeutschen
„Erstens möchte ich klarstellen, dass ich es als unglücklich empfunden hatte, dass – als nun die deutsche Minderheit nach langen Jahrzehnten, aus eigener Kraft und mit eigenem Recht einen vollberechtigten Abgeordneten ins Parlament entsenden konnte – dies in der breiteren Öffentlichkeit so ausgelegt und interpretiert wurde, dass es gelungen ist, zusätzlich noch ein Fidesz-Mandat zu gewinnen. Ich habe keine Probleme mit der Parteipräferenz von Emmerich Ritter, aber die Wahrnehmung diesbezüglich in der ungarischen Gesellschaft ist zurzeit nicht vorteilhaft für die langfristigen Ziele unserer Gemeinschaft. Das Abstimmungsverhalten von Herrn Ritter bei der Frage der Europäischen Staatsanwaltschaft vor kurzem, als er gegen eine parlamentarische Besprechung dieses Themas votierte, vernahm ich allerdings mit großer Verwunderung. Wir wollen uns mit einigen Abgeordneten aus jeder Fraktion mit Emmerich Ritter zusammensetzen, um gemeinsame Belange und Grundlagen zu finden. In der Fraktion von Jobbik sitzen einige Abgeordnete deutscher Abstammung, wie beispielweise Gábor Staudt oder István Szávay, sodass dieses Thema eine breite Unterstützung seitens der Partei genießt. Ich werde auch die Sitzungen des Nationalitätenausschusses begleiten wollen, und natürlich konsultiere ich auch mit der Leitung der LdU, wie schon früher erwähnt.“
▪ Über Modernisierung des Bildungswesens, Freiheit der Wissenschaften, Auswanderung aus Ungarn und über die Auswirkungen all dessen auf die Ungarndeutschen
„Die moderne Bildung ist eine der wichtigsten Belange einer längerfristigen und gut durchdachten, bürgerlichen Politik. Jobbik hatte in ihrem Wahlprogramm die notwendige Modernisierung in den Vordergrund gestellt: Als Partei des 21. Jahrhunderts streben wir ein Bildungssystem an, worin die Digitalisierung, die Kenntnisse der Sprachen Englisch und Deutsch, sowie die wirtschaftlichen Kompetenzen besonders gefördert werden. Am Nationalen Grundlehrplan herumzuschustern, hilft dabei sehr wenig, da 25% der 15jährigen Schüler in Ungarn funktionelle Analphabeten sind. Es müssen kleinregionale Lösungen gefunden werden, mit den entsprechenden Schultypen dazu. Auf der anderen Seite müssen die Löhne endlich so steigen, dass der Unterschied zum Beispiel zwischen dem deutschen und ungarischen Durchschnittslohn nicht größer wird, wie dies seit dem EU-Beitritt von Ungarn der Fall war. Deswegen verlassen die talentierten oder verzweifelten jungen und älteren Menschen Ungarn.
Und was die Freiheit der Wissenschaft anbelangt: Zurzeit ist die Lage undurchsichtig. Die Forschungsgelder wurden ohne Verhandlungen und einer nachvollziehbaren Argumentation unter dem neuen Ministerium für Innovation und Technik von Herrn Minister Palkovics versammelt. Ich hatte mich sowohl in der parlamentarischen Diskussion, als auch in öffentlichen Wortmeldungen dafür eingesetzt, dass eine fachpolitische Diskussion über die Modernisierung der Akademie der Wissenschaften und der Universitäten geführt wird, und erst danach sollten gravierende Veränderungen eingeführt werden. Viele fühlen momentan die Freiheit der Forschung und Lehre gefährdet. In der Wissenschaft können manchmal nicht in kurzer Zeit ‚rentable‘ Forschungen auch sehr wichtig sein. Zuletzt hatten Wissenschaftler der ELTE eine neue Steuerungsart für Drohnenschwärme entwickelt, auf Grund der Bewegungen von großen Fisch- und Vogelschwärmen. Dieses Beispiel soll die Komplexität der Wissenschaft zeigen. Anscheinend versteht Herr Palkovics diese Zusammenhänge nicht ganz. Auf der anderen Seite darf der Staat natürlich zum Beispiel über wichtige soziale oder gesellschaftliche Fragen Forschungen extra ‚bestellen‘, weil dies für die ganze Gemeinschaft wichtige Erkenntnisse bringe. Ich hoffe sehr, dass sich die allgemein sehr zentralistische und rückwärtsgewandte Bildungs- und Forschungspolitik der Regierung nicht in voller Härte auch die Bildungs- und Forschungsinstitutionen der Ungarndeutschen erreicht. Obwohl wir natürlich im Land bleiben…“
▪ Über Engagement in der Europäischen Minderheitenpolitik
„Ich wurde von meiner Partei in die parlamentarische Versammlung des Europarats entsendet, und ich bin Mitglied des Ausschusses für Kultur, Bildung und Medien geworden. Dieser Ausschuss behandelt häufig die europäische Sprachencharta und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Also ich habe hier die Möglichkeit, diesmal als Entscheidungsträger auf der europäischen Ebene den Minderheitenschutz mitgestalten zu können. Als Mitglied in den Freundeskreisen der Interparlamentarischen Union mit den deutschsprachigen Ländern – und erst seit kurzem als Vizevorsitzender des ungarisch-österreichischen Freundeskreises – setze ich mich ebenfalls für die intensive Zusammenarbeit ein. Ich durfte zum Beispiel eine Delegation der Auslandsschweizer empfangen, und berichtete Ihnen über diese Tätigkeiten, und auch über die deutsche Minderheit in Ungarn. Aber auch für Jobbik bin ich außer unserem Fraktionschef Márton Gyöngyösi natürlich dabei, wenn es um die Kontakte mit den deutschsprachigen Ländern oder deren Presse geht.“
▪ Über unsere Position in der Europäischen Union
„Jobbik ist nicht EU-feindlich. Obwohl es früher kritische Stimmen in der Partei gab, gilt heutzutage Jobbik als eine Partei, die sich für die gemeinsamen europäischen Interessen einsetzt, aber natürlich gewisse Tendenzen in der Europäischen Union kritisch beurteilt. Wir leben in einer Zeit, wo über die Zukunft der EU entschieden wird: Gehen wir weiter auf dem Weg der weiteren Integration oder wird eine andere Art der Kooperation gefunden? Wird in der Zukunft ein Europa der zwei Geschwindigkeiten geschaffen? Diese sind noch offene Fragen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass Ungarn für sich die beste Position in der Union findet. Unser Land Ungarn muss an den Reformprozessen beteiligt werden. Die Fidesz-Regierung verfolgt andere Interessen, Ungarn ist von unseren westlichen Partnern so ausgegrenzt wie nie zuvor. Deshalb besteht die Gefahr, dass wir an diesen Prozessen nicht teilnehmen können. Jobbik wünscht sich einen Dialog zwischen West- und Ost-Mittel-Europa auf Augenhöhe, um eine gemeinsame und bessere Zukunft mitgestalten zu können.“
Quelle: www.ldu.hu
Bild: cyberpress.hu