Ein Jubiläum und was eigentlich hinter der ganzen Feierei stehen soll
Alles fing mit einem blauen Volkswagen Passat, Baujahr 1988, an. Als dieser an einem ganz normalen Schultag unseren Schulhof befuhr, wusste ich noch nicht, dass das meinem Leben eine neue Richtung geben wird. In der Pause wurde ich ins Schulleiterdienstzimmer gerufen, eigentlich ein Novum für einen, den die Schulkameraden oft mit dem Prädikat „Streber” behängten. Ein adrett gekleideter Herr, Mitte 60, saß neben meinem ungarndeutschen Schulleiter auf der Ledercouch. Er war bemüht, wie es schnell klar wurde, engagierte ungarndeutsche Schülerinnen und Schüler für „unsere Sache” gewinnen. Aber auch was ganz Konkretes stand im Herbst des Jahres 1994 im Raume: das Welttreffen der Donauschwaben, das im darauf folgenden Jahr in Budapest stattgefunden hat. Zur damaligen Zeit war ich bereits vorbelastet, denn ich engagierte mich nicht nur in der schulischen „Volkstumsarbeit”, wie es mein Deutsch- und Klassenlehrer bei der Verabschiedung meiner Klasse 1996 formulierte, sondern schrieb als aktiver Sänger in Nationalitätenchören bereits Artikel für die Neue Zeitung. Als Ergebnis dieser Begegnung, die den Beginn für eine seit fast 25 Jahren währender Verbindung mit der Jakob-Bleyer-Gemeinschaft und dem Sonntagsblatt markierte, stand ich wenige Monate später auf dem Aufmarschplatz nahe des Budapester Heldenplatzes als Gästebetreuer der Raststätter „Schwoweleit”, die ich eine Woche lang begleitete. Als Dank überreichte mir der vorgenannte Herr eine Plakette für den einwöchtigen Einsatz. Der Mann hieß Georg Krix.
Nun feiern aber nicht nur SB und JBG 25-jähriges Jubiläum, sondern auch das mustergültige Minderheitengesetz, das erst die Schaffung von Selbstverwaltungsorganen ermöglicht hat. Bereits zur Entstehungszeit gab es kritische Stimmen, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen der ungarischen Nationalitätenpolitik seit dem Ausgleich vor allzu viel Euphorie warnten. Man muss 25 Jahre danach den Kritikern Recht geben, jedenfalls zum Teil. Auch wenn der äußere Rahmen von konstanter Entwicklung zeugt, ist es im Inneren zu oft behäbig-ruhig, wie gewohnt halt. So ist die Zahl der so genannten Nationalitätenschulen nahezu konstant geblieben, jedenfalls bei den Grundschulen, immer mehr Bildungseinrichtungen werden von der LdU oder örtlichen NSVW getragen, NZ und Landesratforum (und zum Teil das SB) berichtet von einem regen kulturellen Leben. Die hohe Zahl der Galas, Kultur- und Gedenkveranstaltungen, die Neugründung von Kulturgruppen, Musikkapellen (neben der Auflösung von alten) belegen dies. Auch die Zuwendungen des Staates stiegen – nicht zuletzt durch die Übertragung von Schulträgerschaften – erheblich. Die Zahl der Bekennerdeutschen stieg auch beachtlich, auch wenn dies zum Teil auf einen kreativen Umgang mit Kategorien bei der statischen Auswertung der Volkszählungsdaten zurückzuführen ist.
Soweit die äußere Verfassung der deutschen Nationalität in Ungarn. Die innere zeigt ein anderes Bild, auch wenn man sich dabei um ein differenziertes Urteil bemühen muss. Zwar verzeichneten die Nationalitätengrundschulen und zum Teil die –mittelschulen keinen gravierenden Einbruch bei ihrem Deutschangebot, ist das größte Versäumnis der letzten 25 Jahre – trotz den Bemühungen des Ungarndeutschen Pädagogischen Instituts, die Schulen zu unterstützen – dennoch, dass das zwei- und einsprachige Unterrichtsmodell – bis auf wenige Ausnahmen, insbesondere an „Flaggschiffschulen” der LdU – nicht die Regel wurde. Immer noch wird das Angebot beherrscht von der so genannten sprachunterrichtenden Form mit fünf Deutschstunden und einer Volkskundestunde. Warum man in der Wendezeit auf diese fünf Stunden kam, weiß ich nicht, wahrscheinlich, damit man sich brüsten kann, dass die Kinder jeden Tag Deutsch haben. Das SB hat in den letzten vier Jahren eingehend mit der Arbeit an den Institutionen wie Kindergärten und Grundschulen in der Trägerschaft örtlicher NSVW beschäftigt: Die Palette ist vielfältig, dennoch wird immer wieder eins klar, was auch von vielen der Gesprächspartnern erkannt und benannt wird: Deutsch wird im Alltag – außerhalb von Kommunikationssituationen im Unterricht und den Beschäftigungen – kaum als Kommunikationsmittel verwendet, mit dem Hinweis, dass man die Probleme des Kindes nur in der Muttersprache besprechen könnte. Leider Gottes trifft dies auch auf zwei- und einsprachige Einrichtungen (wobei es einsprachige so gut wie keine gibt) zu – Ausnahmen stärken die Regel -, was vielfach mit der sprachlichen Unsicherheit des Lehrpersonals erklärt wird. Es geht langsam die Generation in den Ruhestand, die irgendwie noch mit der mittlerweile verlorenen Muttersprache in Berührung gekommen ist. Für die anderen ist Deutsch eine Fremdsprache, so auch für die Kinder. So verwundert es einen nicht, dass selbst zweisprachige Angebote – wobei dies hinsichtlich der Stundenzahl eher eine Mogelpackung ist, denn das Deputat in deutscher Sprache erreicht keinesfalls die 50 % – nicht zu einer bewussten und soliden Zweisprachigkeit bei den Kindern führen (können). Deutsch im Unterricht – vielfach als erweiterter Fremdsprachenunterricht aufgefasst – reicht nicht aus, hier bedürfte es einer Kultur der Zweisprachigkeit – und perspektivisch Einsprachigkeit, wo die Amtssprache, wie in den Nachbarländern, in drei Stunden als Fremdsprache unterrichtet wird -. Das beinhaltet auch den hochkomplexen Prozess der Herausbildung der eigenen deutschen Identität – ob einstudierte Lieder und Tänze ausreichen, bleibt fraglich. Hier stehen alle in der Verantwortung, der Staat, das Mutterland, die LdU, die lokalen Träger, die Lehrer und die Eltern. Aber vielfach überwiegen noch die Ängste (werden die Ungarischkenntnisse meines Kindes nicht drunter leiden?) und alte Gewohnheiten (war schon immer so). Apropos „alte Gewohnheiten”: Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr man in Ungarn doch im Netz der alten Gewohnheiten verfangen ist: Bloß nichts Neues, Kreatives ausprobieren, denn das könnte das Erbe und die Traditionen schädigen. Die fehlende Innovation – ein Grundübel dieses Landes – ist in einer schnelllebigen Welt ein bedeutender Standortnachteil: Denn wie sollte man für die Zukunft gewappnet sein, wenn man ständig zurückblickt und einer Vergangenheiten nachtrauert, die es mit ihrer „kleinen deutschen Welt voller Traditionen – damals durchaus authentisch –„ nicht mehr gibt oder in dieser „traditionsbewahrenden” Form vielleicht auch nie gab. So lässt der Durchbruch immer noch auf sich warten – kulturelle Autonomie bedeutet auch, Chancen zu nutzen und sich nicht für den bequemeren Weg zu entscheiden. Das Ganze wird durch externe Umstände erschwert: Die Zentralisierung tat der Attraktivität des Lehrer- und Erzieherberufs wenig Gutes, der Arbeitskräftemangel im deutschsprachigen Ausland entzieht dem System die Besten, Entschlossensten und Sprachbegabtesten. Und immer noch ist die Fachlehrerausbildung lückenhaft, von Lehrer- und Erzieherausbildungsmöglichkeiten in der Muttersprache wie im Falle der Auslandsmadjaren kann man immer noch träumen, langsam drei Jahrzehnte nach der Wende. Das System scheint die Selbstverständlichkeit, sich der Sprache der jeweiligen Minderheit im Schulalltag zu bedienen, nicht durchsetzen zu können.
Ein weiteres Problem, wie die kritischen Worte von Maria Macher-Hasenfratz neulich eindrucksvoll belegten, ist der Gebrauch oder vielmehr Nichtgebrauch der deutschen Sprache in der Kommunikation nicht nur in den Kulturgruppen, sondern auch in den Selbstverwaltungsorganen. Auch wenn sich die LdU weitgehend darum bemüht – wenn das gerade jetzt bei den Wahlen etwas vernachlässigt wurde – zweisprachig zu kommunizieren, so ist dies auf den unteren Ebenen nicht immer der Fall (vorsichtig formuliert). Das wird vielfach damit begründet, dass das sonst nicht jeder verstehen würde. Meine Empfehlung lautet für diesen Fall stets: Zweisprachigkeit, was von den Akteuren nicht immer beherzigt wird (es gibt aber positive Gegenbeispiele). Menschlich verständlich, denn wer will schon doppelte Arbeit leisten, wenn die einfache ja faktisch ausreicht. Was da aber schmerzlich verkannt wird, ist die falsche Botschaft, die in Richtung Volk ausgeht. Denn gerade die Selbstverwaltungsorgane sollten mit gutem Beispiel vorangehen und die Bedeutung der Sprache demonstrieren. Ich verstehe durchaus die Unsicherheiten, die aus mangelnden Sprachkenntnissen resultieren, aber es geht ja im Endeffekt nicht um einen Landeswettbewerb für Deutsche Sprache. Wir haben in letzter Zeit viele Kapellen und Kulturgruppen vorgestellt – auch für diese gilt, mehr Mut in Richtung deutscher Sprache zu zeigen. Singen, Tanzen und Musizieren ist schön und gut, aber die Basis einer wahren Identität ist die gesprochene Sprache. Sonst bleibt die Pflege der Traditionen eine Art Pflichtübung, bei der die Gefahrt besteht, dass diese mit der Zeit – gerade in einer Konsumgesellschaft – einfach ausgetauscht wird, je nach Zeitgeist.
Dass solche Traditionslinien schnell durchschnitten werden können, zeigt die Abschaffung der deutschen Sonntagsmesse in Fünfkirchen, auch ein „Produkt” der Wendezeit. Das Ausbleiben – oder vielmehr Wegsterben – der Gottesdienstbesucher betrifft die großen Kirchen allgemein. Wegen der besonderen sprachlichen Situation trifft es die muttersprachlichen Messen noch härter. So kann Fünfkirchen der Anfang sein, zumal die (Katholische) Kirche auch mit fehlendem Priesternachwuchs zu kämpfen hat, was zur Betreuung mehrerer Gemeinden durch einen Geistlichen führt, was einen besonderen Anreiz für Umstrukturierungen zuungunsten der deutschen Messe, die ohnehin nur in einem Bruchteil der deutschen Gemeinden gefeiert wird, bietet. Deshalb ist jede zukunftsweisende Initiative zu begrüßen, die vor allem eines bezweckt: Die Jugend einzubeziehen.
Schule – Vereinsleben – religiöses Leben – Bereiche, die auch für unseren Verein so wichtig sind. So verbinden sich zwei Jubiläen und zeigen eines und das nach 24 Jahren journalistischer Tätigkeit für das SB: Der äußere Schein trügt wie so oft.
Bild: sulinet.hu