Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Im April organisierte die Jakob Bleyer Gemeinschaft eine Reise in den Geburtsort des größten ungarndeutschen Politikers und Namensgebers des Vereins, Jakob Bleyer, nach Tscheb / Čelarevo. Die 25-köpfige Gruppe hat unter anderem den Friedhof des Dorfes aufgesucht, wo sie zufälligerweise das Grab der Eltern von Jakob Bleyer gefunden hat, in einem guten Zustand, aber mit einer Inschrift, die nur unter Mühen zu entziffern ist. Es wurde die Entscheidung getroffen, dass die JBG den Grabstein renovieren lässt, und dafür wurde schnell eine schöne Summe gesammelt. Da ich an der Reise aus zeitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte, war es für mich selbstverständlich, dass ich bei den weiteren Schritten des Projekts mitmache und nach Tscheb fahre.
Mit Richard Guth sind wir nach sechs Stunden in Tscheb angekommen, wo wir von Herrn Georg Stangl empfangen wurden. Wir trafen uns vor der katholischen Kirche des Dorfes, die wir uns gemeinsam angeschaut haben. Die Kirche, die bessere Zeiten erlebte, voll mit deutschen Aufschriften, spiegelt sehr gut das Schicksal des Dorfes wider: In dem früher fast rein deutschen Dorf leben heute insgesamt 9 Deutsche, zwei von ihnen Zugezogene, wie unser Gastgeber Georg Stangl, der väterlicherseits aus Maria-Theresiopel/Subotica in der Nordbatschka stammt, aber dessen Vorfahren im Rahmen der k.u.k. Binnenmigration aus Ödenburg kamen. Die Grabsteine im Friedhof erzählen von einem anderen Dorf, von einem Tscheb, wo mehrheitlich Deutsche lebten, und wenn man die Gräber genauer anschaut, sieht man, dass sie gut lebten. Ein solches Dorf am Donauufer hatte Bleyer wohl in Erinnerung, das heutige serbische Dorf Čelarevo würde er wahrscheinlich nicht wiedererkennen.
Die katholische Kirche von Tscheb
Deutscher Teil des Tscheber Friedhofes
Nach dem kurzen Aufenthalt im Friedhof und der Besprechung der weiteren Schritte der Instandsetzung hatten wir die Gelegenheit Theresia Becker zu besuchen, die als die „letzte rein Teitsche im Torf“ lebt. Sie wohnt in ihrem Geburtshaus in jenem Teil des Dorfes, wo die Grundstücke und Häuser bereits kleiner sind als in der Ortsmitte, wo die Familie Bleyers ansässig war. Kleinhäusler lebten in diesen Straßen, erzählte Theresia Becker in schönster, aber für uns recht verständlichen Sprache mit einer deutlichen Tendenz zur Mundart. Kein Wunder, besuchte sie in ihrer Kindheit die deutsche Dorfschule, wo sie nach eigenen Angaben ein-zweimal in der Woche serbischer Fremdsprachenunterricht erteilt wurde, der sich lediglich auf die Vermittlung des Nötigsten beschränkte. Die 92-jährige alte Dame erzählte uns von der Geschichte des Dorfes und von ihren persönlichen Erinnerungen.
Es war sehr beeindruckend, wie sie Satz für Satz besser auf Schwäbisch redete; sie hatte seit 6 Jahren wenig Möglichkeit Deutsch zu sprechen, seitdem ihre Schwester mit fast 100 Jahren starb. Es zeigte sich sehr gut, was für Schrecken der Zweite Weltkrieg dem Dorf brachte, als wir Tante Theresia über den Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre fragten: „Es war hier net so schlimm, aber der teitsche Krieg…“. Sie verbrachte nach dem zweiten Weltbrennen 3 Jahre in verschiedenen Arbeitslagern. In Gakowa auch, wo tausende Deutsche ums Leben kamen. Man könnte noch viel von diesem Gespräch erzählen, aber kein einziger Satz kann das Gefühl wiedergeben, was wir da erlebten.
Die wichtigste Botschaft dieses Besuches für mich war, dass wir weiterarbeiten müssen. Die serbische Batschka ist aus (volks)deutscher Sicht verloren, aber in Ungarn gibtˋs noch eine deutsche Zukunft. Wenn wir etwas dafür tun. Es gibt auch bei uns solche Ortschaften, wo es nur eine deutsche Vergangenheit gibt, aber es gibt auch solche, wo wir mit harter Arbeit eine prosperierende Zukunft schaffen können. Ich sage nicht, dass es einfach sein wird, das bedeutet viel Arbeit, es genügt nicht auf unser Glück zu warten. Es soll vor unseren Augen schweben, dass wir es nicht wollen, dass in 50-100 Jahren, wenn jemand eines unserer Dörfer besucht, mit einem so traurigen Gefühl heimfahren müsste, wie ich am Freitag Tscheb verlassen musste. Das Ungarndeutschtum soll kein Memento vergangener Zeiten sein, sondern das Beispiel für harte Arbeit. Ein Beispiel dafür, dass es immer, auch wenn man einen Tiefpunkt erreicht hat, einen Rückweg gibt.
Meine Wenigkeit mit Thereseia Becker
Beitragsbild: Die katholische Kirche von Tscheb von innen