Erschienen am 13. Dezember 2017 im Blog „Pangea” (pangea.blog.hu), Autor: Tranquillius. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Seitenadministrators. Aus dem Ungarischen: Richard Guth.
In Ungarn hat sich fälschlicherweise schon lange die Auffassung festgesetzt, dass die calvinistische Richtung der reformatorischen Bewegung eine „madjarische” Bekenntis sei. Diese vereinfachende Sichtweise geht davon aus, dass es ethnisch determiniert sei, dass die Madjaren Calvinisten seien und die Slowaken wie Deutsche (Sachsen) Lutheraner. Um das Gegenteil zu beweisen, nehmen wir in unserem heutigen Blogeintrag die größte nichtmadjarische Bevölkerungsgruppe helvetischen Bekenntnisses im Karpatenbecken unter die Lupe.
Im Eintrag werden wir weder die Verbreitung der Reformation in Ungarn noch die Dogmen der Kirche untersuchen, sondern lediglich eine kleine Bevölkerungsgruppe, die zum gegebenen Zeitpunkt auf einem geografisch gut begrenzbaren Gebiet lebte. Darüber hinaus ergreifen wir die Gelegenheit um eine nagelneue slowakische Kirchenkartenapplikation vorzustellen. Zur Einleitung sollen wir uns aber mit all den nichtmadjarischen ethnischen Gruppen vertraut machen, die und vielleicht ihre Kinder sich bei der ungarischen Volkszählung von 1910 zum Calvinismus bekannt haben.
Von den deutschen Reformierten hat man vielleicht schon gehört, denn in Budapest haben sie sogar eine eigene Kirche in der Mondgasse (Hold utca). Die Gemeinde wurde 1859 von eingewanderten Reformierten aus Deutschland, der Niederlande und der Schweiz gegründet, die unter anderen das Bethesda-Krankenhaus betrieben.
Wenn wir ihre Verbreitung in den Komitaten betrachten, dann gab es je ein reformiertes Dorf im Komitat Weißenburg (Pußtawam), der Branau (Hidasch) und Arad (Großpereg/Peregu Mare), drei in der Tolnau und neun in Batsch-Bodrog. In der Batschka finden wir die meisten deutschen Reformierten, in Tscherwenka, Schowe, Werbaß erreichte ihre Zahl 1500. Die größte deutsch-reformierte Gemeinde war in Siwatz, wo es unter den 10.000 Einwohnern 3800 Reformierte gab, während der Anteil der Madjaren lediglich 10 % betrug. Diese Orte waren im klassischen Sinne „schwäbische” Dörfer, aber keine katholischen, und ihre Einwohner stammten nicht aus Schwaben. Auch sie kamen im Rahmen der drei großen Ansiedlungswellen im Laufe des 18. Jahrhunderts, allen voran aus der Pfalz, dem größten Landesteil der deutschen Reformierten. Neben ihnen sind auch deutsche Evangelische nach Ungarn gekommen, aber in größerer Zahl.
Von den rumänischen Reformierten haben bislang höchstens Siebenbürgen-Historiker gehört. Im Fürstentum Siebenbürgen gab es bedeutende Tendenzen der Zentralmacht, die orthodoxen Rumänen zur siebenbürgischen Quasi-Staatsreligion zu bekehren. Zsuzsanna Lórántffy gründete für sie in Fogarasch eine Schule, Teilerfolge mit der Reformation der Orthodoxen erzielte man im Komitat Eisenburg, aber nach dem Untergang des Fürstentums Siebenbürgen fanden die reformierten Rumänen rasch zum orthodoxen Glauben zurück.
In Siebenbürgen ist das reformierte Bekenntnis hinter den Madjaren im Kreis der Roma am ehesten verbreitet. Es ist auf einen einfachen Grund zurückzuführen: Wenn sie sich in einem reformierten Dorf niederließen, dann nahmen sie dieses Bekenntnis an, wenn in einem katholischen, dann den katholischen Glauben, und so weiter. Demzufolge lassen sich im Komitat Klausenburg in Țara Călatei/Kalotaszeg und den östlichen Landkreisen, im Teil Câmpia Transilvaniei/Mezőség des Komitats Marosch-Torda sowie in einigen Dörfern des Komitats Eisenmarkt mehr Reformierte als Madjaren. Die Zahl der Ortschaften beläuft sich auf etwa 30, aber sie bilden keine territoriale Einheit, sondern liegen am Rande von madjarischen Streusiedlungen und Inseln.
Nun widmen wir uns der im Titel erwähnten Volksgruppe, den Reformierten slowakischer Muttersprache, die im Osten der Slowakei leben. Auf dem Gebiet der (ehemaligen ungarischen) Komitate Abaujwar, Semplin und Ung, entlang der undurchschaubaren slowakisch-ungarischen Sprachgrenze finden wir auch heute noch eine konfessionell recht gemischte Bevölkerung. 1910 lebten hier katholische, reformierte und griechisch-katholische Madjaren, Juden, die sich zum Madjarentum oder Deutschtum bekannten, sowie katholische, evangelische, griechisch-katholische als auch reformierte Slowaken gleichermaßen. Die jeweiligen Orte selbst zeigten ein konfessionell buntes Bild, in diesen Gebieten war die nationale (bzw. Nationalitäten-) Zugehörigkeit noch nicht gefestigt und eindeutig (wie bei den Tschango-Madjaren). Die Bewohner dieses Landstrichs sprachen in einem breiten Streifen Slowakisch und Ungarisch gleichermaßen. Zwischen Kaschau und Hidasnémeti, Neustadt am Zeltberg/Sátoraljaújhely und Trebišov/Tőketerebes wechselten sich Konfessions- und ethnische Mehrheiten von Dorf zu Dorf ab.
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Der Anteil der jeweiligen Konfessionen veränderte sich im Laufe der Geschichte im bedeutenden Maße. In der ersten Phase der Reformation verbreiteten sich die Lehren Luthers, strahlenförmig, ausgehend von den Zipser deutschen Städten. Die Lehren Calvins bedeuteten bereits die zweite reformatorische Welle, vornehmlich konvertierte die bereits lutherische Bevölkerung zur neuen Richtung der Reformation. Ihrer Ausbreitung waren aber je Gebiet unterschiedliche Grenzen gesetzt. Mal verhinderte das (deutsche) evangelische Dechanat der fünf freien königlichen Städte mal die zum Luthertum konvertierten königlichen Bergbaustädte die Verbreitung der Lehren, mit dem gleichen Entschluss und der gleichen Effizienz wie die Siebenbürger Sachsen. Die evangelischen Grundbesitzer ließen den Übertritt ihrer Leibegenen zum neuen Bekenntnis auch ungern zu. Demgegenüber verbreiteten andere ungarische/madjarische Adelige wie die Drugeths von Homenau/Humené und die Siebenbürger Rákóczis die helvetische Reformation nicht nur unter ihren slowakischen und madjarischen Leibeigenen, sondern auch unter den Ruthenen, sprich sie zwangen sie zum Übertritt.
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Die territoriale Verbreitung der reformierten Konfession erreichte im zistisanischen Bezirk des historischen Ungarn zwischen 1570 und 1630 ihren Höhepunkt. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, also vor dem Beginn der Gegenreformation, gab es in den Komitaten Abaujwar, Scharosch, Semplin und Ung ungefähr 100-120 reformierte Gemeinden. Jedoch nahm ihre Zahl binnen 100 Jahre um zwei Drittel ab, es blieben lediglich 37 slowakische reformierte Gemeinden erhalten. Worauf ist dies zurückzuführen?
Die Antwort müssen wir in den Bevölkerungsbewegungen des 17. Jahrhunderts suchen. Kriege, Seuchen, innere Wanderungsbewegung dezimierten deutlich die Zahl der slowakischen Reformierten in Oberungarn. Hinzukam noch die Gegenreformation, die von den Jesuiten und den Prämonstratensern geführt wurde und die in erster Linie auf die Großgrundbesitzer zielte. Dem Religionswechsel der Grundbesitzer folgten auch deren Leibeigene, oder sie wanderten ab. Bei der Abnahme spielte auch die Rivalität zwischen den Calvinisten und Lutheranern eine Rolle, indem die Gläubigen um jede Kirche einen Kampf bis auf Messersschärfe geführt haben. Es ist interessant zu beobachten, dass die Reformierten, wenn sie vor die Wahl gestellt wurden, die griechisch-katholische Konfession anstelle der römisch-katholischen bevorzugten. Der Grund war, dass die Liturgie bei der erstgenannten Konfession in der Sprache des Volkes gefeiert wurde und die Priester weiterhin heiraten durften. Viele suchten nach der Vertreibung der Osmanen in Südungarn ihr Glück, und die Bevölkerung – oft anderer Konfession -, die ihren Platz besetzte, hat die Ureingesessenen konfessionell einvernommen. Ein weiteres gravierendes Problem war der Mangel an slowakischsprachigen Geistlichen, die die frohe Botschaft in der Sprache des Volkes hätten verkünden können. Das war darauf zurückzuführen, dass der madjarische Grundbesitzer meist madjarische Geistliche eingeladen hat, damit dieser die frohe Botschaft in seiner Muttersprache hören konnte, nichtsdestrotrotz mussten sich die Pfarrer auch die slowakische Sprache aneignen. Später wurde in Sárospatak eine Stiftung zur Förderung der slowakischensprachigen Priesterausbildung und des Buchdrucks ins Leben gerufen.
Das Gebiet mit reformierter Bevölkerung wurde von Westen und Norden her immer kleiner und zerfiel dann in Teile. Zuerst verschwanden im Komitat Scharosch die Reformierten, ihre letzten Gemeinden wurden in den 1720er Jahren aufgelöst. Im 18. Jahrhundert lebten etwa 8-10.000 Reformierte slowakischer Muttersprache in den Komitaten Abaujwar, Semplin und Ung. Die Dynamik der Abnahme reformierter Seelen verlangsamte sich dank stabilisierenden Bevölkerungsbewegungen.
Bis 1910 blieben insgesamt 45 solche Siedlungen mit slowakischen Reformierten – acht in Abaujwar, östlich von Kaschau, in der Umgebung von Rozhanovce/Rozgony, 12 östlich von Trebišov/Tőketerebes, 25 im Komitat Ung, in der Nähe von Ungwar.
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Hinsichtlich der Methodik beruht das Zeichnen der oberen Karte (die Karte konnte hier wegen der schwarz-weiß Drucks nicht veröffentlicht werden, der werte Leser findet sie im ungarischsprachigen Blogeintrag auf pangea.blog.hu) auf der einfachen Idee, dass man die reformierte Bevölkerung der jeweiligen Ortschaft nicht in Bezug zu der Gesamtbevölkerung setzt, sondern zur madjarischen Bevölkerung. Wenn dann der Anteil der Reformierten in Bezug auf die madjarische Bevölkerung über 100 % liegt, können wir von der Existenz von nichtmadjarischen Reformierten ausgehen. Wenn wir diese Ortschaften auf der Karte markieren, können wir ein gewisses System feststellen. Es lohnt sich, die Daten weiter zu filtern, zum Beispiel diejenigen Orte wegzulassen, in den der Anteil der Reformierten und der Madjaren gleichermaßen recht niedrig ist, 1-2% bzw. ihre Zahl weniger als 20 Personen beträgt. Die nichtmadjarischen Reformierten kann man mit dieser Methode in den Orten nicht ermitteln, wo auch andere Nationalitäten in großer Zahl ansässig sind, aber der Anteil der Reformierten den der Madjaren übertrifft (z. B. Budapest). Eine Ermittlung ist in diesem Falle nur dann möglich, wenn jemand die Volkszählungsbögen einzeln durchgeht.
Von Ungwar nach Kaschau lässt sich ein Abnehmen von Anteil und Zahl der slowakischen Reformierten beobachten. Richtung Westen zerfällt die Streusiedlung immer mehr in Teile und die Bevölkerung des Tokaj-Perschauer-Gebirges an der Sprachgrenze weist auch eine fehlende Kontinuität für die reformierte Bevölkerung auf. Die Siedlungen des Komitats Ung übertreffen auch in Größe die von Abaujwar, so können wir die Landkreise Sobranz/Sobrance, Ungwar und den nördlichen Teil des Kreises Kapušany/Nagykapos als das slowakisch-reformierte Kerngebiet betrachten, dem sich im Westen die ethnisch gemischten (slowakisch-madjarischen) Kreise Großmichel/Michalovce, Sečovce/Gálszécs und zum Teil Neustadt am Zeltberg anschließen. Auf diesem Gebiet sorgte die Frage für Probleme, in welcher Sprache die Gottesdienste gehalten werden sollen, und es kam auch vor, dass die Reformierte Kirche zum Werkzeug der Madjarisierung wurde.
Die reformierte Konfession pflegt(e) man nicht nur 1910, sondern davor und danach auch als eine Art „madjarischer Glaube” oder „madjarische Konfession” zu betrachten. Wegen dieser ethnischen Determinierung galten die slowakischen Reformierten als slawisierte Madjaren. Diese falsche Sichtweise belastet bis zum heutigen Tage die reformierten slowakisch-madjarischen kirchlichen Beziehungen in der Slowakei.
Und wie sieht es heute aus? In der Slowakei hat sich ein junger Mann namens Zdenko Dzurjanin, der von einer madjarischen Mutter abstammt, vorgenommen, alle Kirchen aufzusuchen und zu dokumentieren. Acht Jahre lang bereiste er die Slowakei, um eine Antwort auf die Frage zu geben, wieviele Kirchen es in der Slowakei gibt. Halten wir es fest: 4125. Diese markierte er alle auf der Karte, die man unter https://dennikn.sk/160769/kostoly-slovenska-mapa-fotky/ studieren kann. Wenn wir auf dieser Karte die Sprachgrenze von 1910 eintragen, dann kommen die auch noch heute existierenden slowakische reformierte Kirchen in der Slowakei zum Vorschein. In der Slowakei gibt es heute etwa 110.000 Reformierte (1,8%), von denen 10-15% slowakischer Muttersprache ist.
In der Slowakei wächst der Anteil der slowakischsprachigen Reformierten wegen der Assimilierung von Jahr zu Jahr. Von den neun Kirchenbezirken haben zwei eine slowakische Mehrheit, auch deshalb ratifizierte man die Verfassung der einheitlichen Ungarischen („Magyar”) Reformierten Kirche lange nicht. Das konnte man erst 2012 durchsetzen, wobei die slowakischen Reformierten immer noch Vorbehalte äußern.
Quellen:
- https://library.hungaricana.hu/hu/view/SarospatakiSKkiadvanyok_2013_SzlovakRef16_18sz/?pg=173&layout=s
- http://felvidek.ma/2012/02/aggodnak-a-szlovak-reformatusok-a-magyar-reformatus-egyhazhoz-valo-csatlakozas-miatt/
- http://adatbank.sk/lexikon/szlovakiai-reformatus-keresztyen-egyhaz/
- https://dennikn.sk/160769/kostoly-slovenska-mapa-fotky/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Reformed_Christian_Church_in_Slovakia