Von Georg Krix
Über die Minderheitenpolitik Ungarns bzw. über das heute gültige Minderheitengesetz zu reden gilt allgemein als eine „heikle Aufgabe”. Warum? Weil eben Theorie und Praxis mit einander entgegengesetzten Vorzeichen zu registrieren sind. Als Beispiel: Die Theorie, – die vom Gesetz bestimmt wird -, nach welcher die nationale Minderheit ihr Dasein leben darf und soll, basiert auf dem Grundgedanken: Die Muttersprache reden und pflegen und die nationale Identität stärken und bekennen. Die Wahrnehmung und Ausführung dieses Rechtes, d.h. dessen Umsetzung in den gelebten Alltag ist heute Aufgabe der Selbstverwaltung der Minderheit. Die Praxis jedoch, welcher wir Schritt auf Tritt begegnen, ist leider eben das Gegenteil: Die Muttersprache wird nicht – oder kaum – gesprochen und auch nicht – oder nur selten – gepflegt; die nationale Identität wird auf verschiedene Weise interpretiert und häufig falsch verstanden, weshalb von einer Stärkung keine Rede sein kann. Um ein klares nationales Bekenntnis zu umgehen, verbirgt man sich hinter Begriffen wie Doppelidentität oder Kulturzugehörigkeit. Die Selbstverwaltung der Minderheit sieht diesem Unfug rat- und tatlos zu. Sie unternimmt nichts dagegen, wodurch sie eigentlich diesen Vorgang noch beschleunigt.
Ich muß betonen, ich rede über unsere, über die deutsche Minderheit in Ungarn. Doch wage ich anzunehmen, daß es mit den anderen Minderheiten des Landes so ähnlich bestellt ist.
Wenn ich also heute, über zwanzig Jahre nach der Schaffung der Deutschen Minderheitenselbstverwaltungen diesen ein Zeugnis ausstellen soll und ehrlich sein will, so bekommen sie von mir die Note 1! – durchgefallen!
Dies ist eine allgemeine Wertung, aufgrund von landesweit gesammelten Argumenten/Erfahrungen. Sicherlich gibt es Ausnahmen. Die eine oder andere Selbstverwaltung von den 400 des Landes kann bestimmt auch Positives aufweisen, einige unserer gewählten Vertreter verdienen sicherlich Lob für ihren Einsatz. Doch, wie gesagt, das sind Ausnahmen und genügen nicht, um das Bild zu verschönern.
Zur Begründung meines Urteils kann ich zusammenfassend sagen: Die heutige Lage der deutschen Volksgruppe in Ungarn zeigt ein sehr trauriges Bild. Das Bild von heute ist im Vergleich zu den Nachkriegsjahren, als wir entrechtet, nur zweitklassige Staatbürger waren, schlechter. Es ist im Vergleich zu früher, zu den Jahren als wir noch keine Selbstverwaltung, sondern nur einen demokratischen oder nur einen Deutschen Verband hatten, viel trauriger. Ich weiß, daß viele Landsleute mit dem von mir geschilderten Bild nicht einverstanden sind. Die einen darum nicht, weil sie zum Zustandekommen dieses Bildes beigetragen haben, die anderen, weil sie die Leidtragenden sind; manche darum nicht, weil sie ihre Augen nicht aufmachen wollen und die anderen können gar nicht mitreden, weil sie für einen Vergleich zu jung sind. So z.B. wird ein Schüler, dem gestern erst bewußt wurde, daß er deutscher Abstammung, also ein ungarländischer Schwabe ist und heute schon ’guten Tag’ sagen kann, diese Entwicklung für einen hundertprozentigen Erfolg verstehen, ein alter Schwabe aber – einer wie ich -, der als Kleinkind nicht mal „jó napot’ sagen konnte kann nur verzweifelt in die weite Welt blicken, wenn ihm heute niemand mehr „guten Tag” wünschen will.
Um meine negative Feststellung entsprechend begründen zu können, muß ich natürlich weit ausholen – und das will ich gerne tun. Unsere Volksgruppe hat einen sehr langen und holprigen Weg beschritten, hat im Verlauf von beinah 300 Jahren vieles und großes geleistet, ist immer wieder Herr über Tod, Leid und Elend geworden. Und nun sollen wir im Glanze eines mustergültigen Minderheitengesetzes aus dem Dasein scheiden? Ohne dies selber zu merken? Ohne uns dagegen aufzubäumen?
Warum?
Es ist höchste Zeit, daß wir endlich mal Tacheles, d.h. Klartext reden! „Wachet auf, es ruft die Zeit!” – singen wir in unserer Volkshymne. Also, befolgen wir diese Mahnung!